Mein Hundeleben – Schnauzen voller Liebe – online

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser, in meinem Buch ‚Mein Hundeleben – Schnauzen voller Liebe‘ lade ich Euch zu einer ganz persönlichen, humorvollen und lehrreichen Reise ein.

Das Buch handelt von ungewollten Autobahnsperrungen, undichten Dächern, Eifeldörfern, die uns nicht haben wollten, einem lebensmüden Dackel, einer Käferplage, von Geburten und Todesfällen, von Trennungen und Glücksmomenten, von einem Sturm namens Kyrill, von gestohlenen Hähnchenschenkeln, von Unfruchtbarkeit durch Rouladenspieße, von leeren Osternestern und weinenden Kindern, von Hausverkäufern, die nicht ausziehen und sich stattdessen in die Luft sprengen wollten, von Giftanschlägen, von der Vorbereitung, am Rio Pecos reiten zu wollen, von einem riesigen Ziegenbock, der die Hausherrin mitsamt Futtereimer im Stall an die Wand genagelt hat, von Mülleimern, die Hunde verfolgten, von einem Ganter, der mich nicht mehr auf mein eigenes Grundstück ließ, von Krankheiten, die mit allen Mitteln besiegt wurden, von Hundetrainern, die Angst vor Welpen hatten, und vielen schönen, tragischen und nachdenklichen Geschichten. Das Buch ist eine persönliche, humorvolle und lehrreiche Reise durch mein facettenreiches Leben, geprägt von der Liebe zur Musik, zum Film und zu Tieren. Die Geschichte, die ich in meinem Buch erzähle, beginnt mit meinem Stoffdackel und führt über mein Musikstudium in Wien bis hin zu meiner Fernsehkarriere und endet letztendlich bei meiner Bestimmung: den Hunden. Die etwa 400 Seiten und 130 Kapitel meines Buches enthalten sowohl humorvolle Anekdoten als auch bewegende Geschichten aus meinem Leben mit über 40 Tieren in der malerischen Eifel und Begegnungen mit vielen anderen Tieren während meiner Dreharbeiten in ganz Europa. Besonders hervorheben möchte ich meine Erfahrungen, die ich in einem Jahr unter 45 Pariahunden in einer Forschungsstation gesammelt habe. Darüber hinaus beinhaltet das Buch meine emotionalsten Momente im Zusammenleben mit den Tieren.

Es begann mit einer Lehre im Autohaus meines Vaters, gefolgt von einem Musikstudium in Wien. Es folgten Tourneen durch Schweden, meiner damaligen Wahlheimat, England und Österreich und fand ihre Fortsetzung im Fernsehen und mündete schließlich in einer leidenschaftlichen Hingabe zur Tierwelt. Im Jahr 1992 entschied ich mich für einen Karrierewechsel und ging zum Fernsehen. Zuerst arbeitete ich als Musikredakteur, später als Autor und Realisator für verschiedene Formate der ARD. Ein Höhepunkt meiner Fernsehkarriere war die Auszeichnung meiner Redaktion der Sendung „Geld oder Liebe“ mit dem renommierten Grimme-Preis. „Tiere suchen ein Zuhause“ war meine letzte größere Sendung. 2001 geschah ein weiterer bedeutender Wendepunkt in meiner Karriere. Zusammen mit meiner damaligen Frau Petra gründete ich die Plattform Dogtale Movies, ein Unternehmen, das sich auf Tierfilmproduktionen spezialisierte. Ich lebte mit 40 Tieren in der malerischen Eifel, drehte Filme mit den bekanntesten Hunde- und Pferdetrainern und erlebte sowohl lustige als auch tragische Geschichten. Es ist ein Leben für und mit den Tieren. In diesem Buch teile ich die Geschichten meiner Herzenstiere, wie sie zu mir fanden und wie sie mir Freude, aber auch Kummer bereiteten. 

Das Buch ist universell gestaltet und spricht alle Menschen an, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Identität oder ihrem Hintergrund. Die verwendete Sprache ist allgemein und inklusiv, um eine breite Leserschaft zu erreichen und niemanden auszuschließen. 

Ich hoffe, ihr genießt die Lektüre meiner Geschichten genauso sehr, wie ich es genossen habe, sie zu erleben und zu teilen.

Euer Ralf Alef

Alles auf Anfang

Heute ist der 8.5.23. Berry lebt schon zwölf Jahre nicht mehr. Seit er 1999 zu mir kam, ist viel passiert: Zwei gescheiterte Ehen, unzählige Tiere, sechs Umzüge, Corona, eine überstandene Flut, und dennoch besitze ich immer noch eine ungebrochene Lebensenergie, die mich antreibt.

In 62 Kilometern erreiche ich den Michaelshof, einen denkmalgeschützten, historischen Bauernhof von 1650, der mein neuer Wohnort wird. Ab heute werde ich dort mit vier Menschen, zwei Hunden und drei Kühlschränken leben. Zusätzlich haben wir eine zuverlässige Putzhilfe, die uns dabei unterstützt, den Hof in einem gepflegten Zustand zu halten. In der Nähe ist die Linie 18 nach Köln – ideale Voraussetzungen. Im Rückspiegel sehe ich den blauen Anhänger, der bis unter die Dachkante beladen ist. Auf meinem Beifahrersitz türmen sich Jacken und Taschen. Und ganz oben, geschützt und gesichert wie die Mona Lisa, liegen die Bilder meiner Hunde Berry und Cooper. Um 16:30 Uhr werde ich erwartet. Meinen Schlüssel habe ich vor drei Tagen bekommen. Die Uhr zeigt mir 8:58 Uhr an. Ich bin sieben Stunden zu früh. Ich bin eigentlich immer zu früh. Selbst wenn ich versuche, zu spät zu kommen, bin ich zu früh. In der Nacht habe ich vor Nervosität kein Auge zugemacht und wusste nicht, wie ich die Zeit bis 16:30 Uhr überbrücken sollte. Also bin ich losgefahren und habe mich in den Berufsverkehr gestürzt, um den Rhein bei Bonn zu überqueren und mit all den mürrischen Menschen auf dem Weg zur Arbeit in mein nächstes Abenteuer zu fahren. 10:07 Uhr. Ich bin da. Kein Auto steht vor der Tür. Das war mir klar, denn die anderen Mitbewohner sind berufstätig und nicht ohne Grund haben wir 16:30 Uhr vereinbart.

Unsicher, ob ich durch das große alte Tor hineinfahren soll, mache ich noch eine Runde durch das Dorf, halte beim Bäcker an und kaufe überteuerte Brötchen. „Ohne Remoulade bitte“, sage ich. Ich mag am liebsten ganz schlicht belegte Brötchen. Ohne Butter, ohne Salat und erst recht ohne Remoulade. Wieder im Auto beiße ich herzhaft in das üppig belegte Brötchen. Die Remoulade tropft mir auf die Jeans und ich überfahre eine rote Ampel.

Die beiden Hunde meiner neuen Mitbewohner, Bella und Homer, kommen aus den Tiefen des Hofs nach draußen gestürmt, bevor ich die Chance habe aufzuschließen. Ich freue mich darauf, endlich wieder mit Hunden zusammenzuleben. Das Tor ächzt und knirscht, als ich es entriegele und mit beiden Händen nach hinten schiebe. Es ist ein altes, massives, zweiflügeliges Tor, das mir eindringlich klar macht, dass es ihm nicht gefällt, die meiste Zeit geschlossen zu sein. Ich fahre mit dem Anhänger auf den Hof und bin mir sicher, dass ich niemals in der Lage sein werde, diesen jemals rückwärts wieder zu verlassen.

Es ist 10:13 Uhr. Ich setze mich in den kleinen Unterstand, den die Bewohner scherzhaft Bushaltestelle nennen. Dort nehme ich das zweite Brötchen aus der Tüte und achte darauf, dass die Remoulade nicht wieder auf meine Hose tropft.

 

Homer und Bella lassen sich in meiner Nähe nieder und beäugen mich gespannt aus sicherer Entfernung. Die Szenerie und die verbleibenden Stunden laden geradezu dazu ein, meinen Laptop aufzuklappen und weiter an meiner Geschichte zu arbeiten. Oder noch besser: Ich habe mit Homer und Bella zwei Zuhörer gefunden und kann ihnen meine Geschichte vorlesen. Meine Geschichte handelt von Hunden, von Pferden, von Schicksalsschlägen, von Tierliebe und gescheiterten Lebensträumen. Ich mache mir einen Kaffee, klappe mein MacBook auf und positioniere mich vor dem hochkarätigen Fachpublikum.

Lebensplanung

Am 14. Januar 1959, an einem bitterkalten Mittwochmorgen um 08:12 Uhr, brachte der Storch mich, den Sohn eines KFZ-Meisters und einer Hausfrau, nach Köln-Nippes. Als Einzelkind lasteten auf mir hohe Erwartungen. Mein Vater hoffte, ich würde seine Werkstatt übernehmen, während meine Mutter sich insgeheim eine Tochter gewünscht hatte. Ideale Voraussetzungen für mein bevorstehendes Scheitern.

Ich träumte davon, Cowboy, Trapper, Musiker, oder Fußballer zu werden, am besten alles auf einmal. Aber sicher kein KFZ-Meister und erst recht kein Mädchen! Als ich mit meinen Schulfreunden im Keller des Altersheims probte, direkt neben dem Raum, in dem die verstorbenen Bewohner lagen, und wir Stücke von Santana und Status Quo nachspielten, fühlten wir uns wie die Könige des Rock ’n‘ Roll. Mit Auftritten in lokalen Jugendheimen nährten wir den Traum von der großen Karriere. Die andere Welt, die mich in ihren Bann zog, war der Wilde Westen mit seinen legendären Figuren wie James Stewart und John Wayne, den indigenen Ureinwohnern und den mutigen Abenteurern. Zwar war es kein ausgeklügeltes Berufskonzept, aber ich träumte davon, Heldentaten zu vollbringen, allein mit meinem Pferd und meinem treuen Hund Abenteuer zu erleben und allen Gefahren die Stirn zu bieten. Tatsächlich war ich eher ein ängstlicher Mensch. Bis heute habe ich noch keine körperliche Auseinandersetzung erlebt und wenn es auch nur den Hauch von Gewalt gab, war ich der erste, der die Beine in die Hand nahm. Ich stand immer auf der Seite der Guten, genau wie Winnetou und Old Shatterhand. „Hugh, ich habe gesprochen.“

Mein Vater war ganz anders gestrickt. In der Firma hatten alle einen riesigen Respekt vor ihm, einem Meister der alten Schule, der sich nicht zu schade war mit anzupacken und sich die Hände dreckig zu machen. Ob sie vielleicht Angst vor ihm hatten, so wie ich? Wenn man ihn reizte oder ihm im falschen Moment widersprach, konnte es passieren, dass er seine Emotionen unkontrolliert ausdrückte. Ich konnte es ihm nie recht machen. Für alles war ich zu dumm, zu faul und zu träge. Meine Eltern stritten oft wegen mir. Trotzdem hat mir meine Mutter, obwohl sie auf meiner Seite war, nicht wirklich geholfen. Ich glaube schon, dass sie mich geliebt hat, aber schöner wäre es gewesen, wenn sie es mir gezeigt hätte. Die Liebe, die ich von meinen Eltern nicht bekam, erhoffte ich von einem Hund zu bekommen. Von ihm wünschte ich mir, bedingungslos angenommen zu werden, genauso wie ich war. Die Angst vor seiner aufbrausenden Art würde in meinem Leben bleiben und sich immer wieder schmerzhaft bemerkbar machen.

Mein Wunschzettel

Ich sehnte mich jedoch nicht nach irgendeinem Hund, sondern nach dem perfekten Hund, einem lebenslangen Begleiter. Es musste ein Dackel sein. Warum genau diese Rasse, kann ich nicht sagen, da keiner meiner Helden einen Dackel besaß. Möglicherweise war mein geliebter Stoffdackel Waldi der Auslöser für diesen Wunsch. Jedes Jahr zum Weihnachtsfest verewigte ich den Dackel auf meinem Wunschzettel, doch das Christkind erhörte mich nicht. Als ich später vermutete, dass das Christkind nicht existierte, flehte ich meine Eltern an, mir einen Dackel zu schenken. Leider vergebens. Meine Eltern lehnten Tiere nicht ab, doch ihre traumatischen Erfahrungen mit Tieren während des Krieges wollten sie mir ersparen.  Wir konnten nie über das Thema sprechen; es war ein Tabu. Einige Freunde unserer Familie hatten jedoch Hunde, und mein Onkel züchtete sogar Pudel. Bei jedem neuen Wurf verbrachte ich den Großteil meines Tages bei ihm. Mich mit Welpen zu umgeben, sie zu kuscheln, zu lieben, zu streicheln, sich von ihnen abschlecken zu lassen und ihre Ohren zu kraulen war für mich das Größte. Ich bekam nie einen Dackel. Weder vom Christkind noch von meinen Eltern. 

Zu jener Zeit gab es noch die allgemeine Wehrpflicht, die ich in der Theodor-Körner-Kaserne in Lüneburg bei der Panzer-Instandsetzung absolvierte. Nach sechs Wochen wurde ich ehrenhaft entlassen, da ich wegen einer Schulteroperation weder militärisch grüßen noch mein Bett selbst machen konnte. Mein schauspielerisches Talent bewahrte mich vor der Absurdität der Bundeswehr. Stattdessen schöpfte ich meinen Kameraden Suppe in die Blechnäpfe, wenn sie frierend und nass aus den Schlammlöchern krochen. Nach der Untersuchung durch den Stabsarzt konnte ich meinen Arm in einer Schlinge tragen und freudig der Entlassung entgegensehen.

Nach meiner Rückkehr von der Front war es vorgesehen, dass ich wieder im Betrieb meines Vaters arbeiten sollte. Widerwillig tat ich das, trieb aber gleichzeitig meine musikalische Karriere voran. Mit der Band spielten wir auf der Köln-Düsseldorfer Schifffahrtslinie, spielten alte Schlager zum Tanztee, und dort verdiente ich mein erstes selbst erarbeitetes Geld. Mit der Zeit konnte ich mir immer weniger vorstellen ein Autohaus zu leiten, da meine Leidenschaft für die Musik stärker wurde. Wirtschaftlich gesehen war es natürlich die falsche Entscheidung, aber ich bin eben so, wie ich bin. Ich hatte ein gutes technisches Verständnis, konnte Kalkulationen für Reparaturen erstellen und die Mechaniker einteilen. Was mir allerdings fehlte, war die Leidenschaft für das Geschäft. Deshalb hörte ich nach insgesamt sechs Jahren im Autohaus auf und widmete mich ganz der Musik. Dies führte zu einem endgültigen Bruch zwischen mir und meinem Vater.

Aus der Schülerband wurde eine Galaband. Als „Saturday Night Fever“ den Discorausch einläutete, wurden wir zur Hausband einer Diskothek für die nächsten Jahre. Anschließend ergaben  sich für mich weitere Engagements, von denen ich endlich als Musiker leben konnte. Meine Eltern waren nur ein einziges Mal bei einem Auftritt, und ihr Kommentar war lediglich, dass es zu laut gewesen sei. Mein Vater hat es anscheinend nie verwunden, dass ich mich für den Weg des Musikers entschieden hatte. Doch trotz allem blieb der Wunsch nach einem Dackel in meinem Herzen, und ich hoffte, dass ich eines Tages meinen treuen vierbeinigen Freund finden würde.

Meine Sehnsucht entsprach einer alten niederländischen Weisheit: Wenn du einen Freund nötig hast, kauf dir einen Hund.

Sandra

Wir waren auf Tournee und gastierten in Krefeld. Nach einem Konzert besorgten wir uns am nächsten Morgen in einer örtlichen Metzgerei belegte Brötchen für die Weiterreise zum nächsten Auftrittsort. Hier begegnete ich ihr: Sandra. Sie war das genaue Gegenteil eines Dackels – eine charmante vierjährige Neufundländerdame, groß wie ein Kalb und ihres Zeichens die Chefin im Metzgerladen. Ich war augenblicklich komplett verzaubert. Wenn es so etwas gab wie Liebe auf den ersten Blick, dann erlebte ich sie in diesem Augenblick.

Im Gespräch mit dem Metzgereibesitzer kam heraus, dass er gezwungen war, den Hund abzugeben, angeblich aufgrund von Anforderungen des Gesundheitsamtes. Ein Cocktail aus Dopamin, Adrenalin, Serotonin und Oxytocin durchflutete meinen Körper, und ich fühlte mich, als würde ich auf einer endlosen Welle der Glückseligkeit surfen. Ich konnte nicht widerstehen. „Darf ich Sandra mitnehmen?“ 100 DM für Sandra und 1,40 DM für das Brötchen – ein perfekter Handel. Ich war überwältigt vor Glück. Erst später bemerkte ich, dass ich das geschmierte Brötchen liegen gelassen hatte.

Ein Hund lehrt uns bedingungslose Liebe. Wenn wir diese Erfahrung in unserem Leben machen können, kann es so schlecht nicht sein.

Eltern

Zu jener Zeit lebte ich wieder bei meinen Eltern in Hermülheim, in dem Haus mit dem großen Garten und dem typischen Jägerzaun. Ich hatte die Situation vollkommen unterschätzt. Als ich mit Sandra vor der Tür stand, traf ich unerwartet auf Widerstand. Meine Eltern machten mir deutlich, dass der Hund nicht ins Haus durfte – es gab weder Raum für Sandra noch für Diskussionen. Glücklicherweise war es Sommer, denn ich entschied mich, an diesem schicksalhaften ersten Tag mit Sandra in meinem Opel Rekord am nahegelegenen Otto-Maigler-See in Gleuel zu übernachten.

Am zweiten Tag versteckte ich Sandra heimlich in der Garage.  Am dritten Tag gaben meine Eltern auf. Sandra schlief ab diesem Zeitpunkt neben ihrem Bett. Meine Mutter hatte schlichtweg Angst vor einem erneuten Verlust eines geliebten Tieres gehabt. Sandra wurde in Rekordzeit ein vollwertiges Mitglied unserer Familie. Mein Vater ging Sonntagmorgens mit ihr um den Block spazieren, um anschließend in die nahegelegene Burgschänke zum Frühschoppen einzukehren. Dies wurde zu einem festen Ritual für die kommenden Jahre. Meine Mutter hingegen war für das Futter und die Schönheitspflege zuständig. Sandra verputzte große Mengen und ihr langes Fell verlangte nach sehr viel Pflege. Endlich hatte meine Mutter jemanden zum Kämmen, Füttern und Versorgen gefunden. 

Sandra und mich verband eine tiefe Freundschaft. Es war selten nötig, sie an der Leine zu führen, denn sie blieb stets an meiner Seite, wenn wir gemeinsam auf Entdeckungstour gingen. Wir genossen die Ausflüge in die Wälder, in die nahegelegene Eifel und nach Holland ans Meer. Sandra war eine ausgesprochene Wasserratte. Es war unkompliziert sie mitzunehmen und sie zog mit ihrem einnehmenden Wesen die Aufmerksamkeit aller Menschen auf sich, als wäre sie direkt aus der Welt von Oz entsprungen.

Oft saß ich mit ihr auf der Hundedecke im Flur und weinte manche Träne in ihr Fell. Sie war mein Anker im kühlen Elternhaus, das einerseits ablehnend, andererseits erdrückend und klammernd war. Ich fand bei ihr tatsächlich die Liebe und Nähe, nach der ich mich immer gesehnt hatte.

Wie ein schwedisches Sprichwort sagt: „Den som har en hund har alltid sällskap.“ (Wer einen Hund hat, hat immer Gesellschaft.)“

Rotphasen

Wenn Sandra nicht in die Richtung wollte, in die ich wollte, setzte sie sich hin. Für andere war es amüsant, aber für mich eher peinlich, da ich hilflos am anderen Ende der Leine stand.

An manchen Kreuzungen war es unvorhersehbar, welchen Weg wir einschlagen würden. Sandra übernahm die Führung und bestimmte unsere Route. Manchmal warteten wir zwei bis drei Ampelphasen lang, bevor sie sich entschied, ob wir links, geradeaus oder rechts gingen. Im Nachhinein bin ich mir sicher, dass sie solche Situationen provoziert hat: Je mehr Zuschauer auf der anderen Seite standen, desto mehr Rotphasen erlebte ich. Anfangs hatte ich noch versucht, Sandra zum Weitergehen zu bewegen – mit Fisch, Pansen, Lob, Wut, Ziehen oder vergeblichen Aktionen wie meinem berühmten Bauchheber, den ich mir aus asiatischen Karatefilmen abgeschaut hatte. 51,3 kg, die wie ein nasser Sack auf der Straße klebten, waren eine deutliche Ansage. Ich vermied den Blickkontakt mit dem schmunzelnden Publikum, das zu oft hilfreiche Ratschläge parat hatte. Nach kurzer Zeit erkannte man uns auf unseren Spazierwegen und der ein oder andere Fußgänger blieb erwartungsvoll stehen, um zu schauen, wer denn heute das Ampelduell gewinnen würde.

„Hunde sprechen, aber nur mit denen, die zuhören können.“

Heribert

Es gab auf dieser Welt nur einen Menschen, den Sandra nicht leiden konnte: Heribert Golombek. Heribert hatte eine Beeinträchtigung – er stotterte. Ich kannte ihn seit vielen Jahren und hatte in meiner jugendlichen Unbedachtheit oft über ihn gelacht, allerdings nie in seiner Anwesenheit. Wenn er zu Besuch kam, waren wir gezwungen, Sandra zu isolieren. Sobald sie seine Stimme hörte, wurde sie extrem aufgeregt und wütend. Sie konnte sich für die gesamte Dauer seines Besuchs nicht beruhigen. So kannten wir sie nicht. Es passierte häufig, dass jemand im Dunkeln über Sandra stolperte, weil sie tiefschwarz war und mit dem Boden verschmolz. Daraus machte sie sich nichts und ging einfach zur Seite. In Biergärten gab es nicht selten verschütteten Gerstensaft, wenn Sandra sich unbemerkt in den Weg gelegt hatte. Ich musste diverse Male getrocknete Getränke aus ihrem Fell bürsten. Sie vergab allen Menschen – nur Heribert nicht.

Es gab keine Vorgeschichte zwischen Sandra und ihm. Sandra erkannte Heribert schon am Klang seiner Autotür. Sofort begann sie das infernalische Gebrüll eines unkontrollierbaren Höllenhundes. Da gab es nichts zu retten – verbrannte Erde, für immer. Wir haben Heribert nie erzählt, dass er der Einzige war, bei dem Sandra derart ausrastete.

Pansen

Sandra zeigte ein völlig anderes Verhalten, wenn Willi, der Cousin meiner Mutter, kam. Er und seine Frau Gerta wohnten in einem Wohnpark, etwa zwei Kilometer entfernt. Willi war von Beruf Schlachter und die beiden kamen häufig zu Besuch. Ich konnte nie ganz nachvollziehen, wie man diesen Beruf ausüben konnte, aber das ist eine andere Geschichte. Einmal im Monat brachte Willi Pansen und andere, furchtbar riechende Tierreste mit. An diesen Tagen erfüllte ein unerträglicher Gestank das gesamte Haus, und unsere Küche wurde quasi zur Außenstelle des Schlachthofs. Willi und meine Mutter portionierten die Pansenstücke, kochten sie und verstauten sie in Frischhaltebeuteln in einer extra dafür angeschafften Tiefkühltruhe. An diesen Tagen war Sandra besonders ausgelassen. Willi war ihr Held. Und nicht nur an den Tagen, an denen Pansen verarbeitet und eingefroren wurde – nein, er war immer ihr Held. Wenn Willi zu uns kam, trug er einen Geruch an sich, den Sandra über alles liebte, den ich jedoch als den Geruch des Todes bezeichnete. Wenn er Sandra berührte, sah es aus, als würde er ein Stück Holz streicheln. Das lag wahrscheinlich an seinem Beruf. Ich bin mir nicht sicher, ob es möglich ist, den ganzen Tag Tiere zu töten und dann nach Hause zu kommen, um den eigenen Hund liebevoll zu streicheln.

Mülleimer

Vor der Metzgerei Zens stand ein großer, freistehender Mülleimer aus Metall, an den meine Mutter Sandra anband. Sandra war kein Hund, der weglief – da waren wir uns sicher. Leider hatte der Mülleimer Rollen, die an diesem Tag nicht arretiert waren. Als Sandra sich hinlegte und dabei die Leine straff zog, rollte der Mülleimer auf sie zu und fiel um. Das versetzte Sandra derart in Panik, dass sie losrannte, als sei der Leibhaftige persönlich hinter ihr her. Verzweifelt galoppierte sie drauf los, bis sie schließlich von Passanten in einer Sackgasse gestoppt werden konnte. Meine Mutter hatte sie da längst aus den Augen verloren. Der Mülleimer, der sie auf Schritt und Tritt verfolgte, muss für die arme Sandra traumatisch gewesen sein. In dem damals noch kleinen Hermülheim wussten alle, wo sie hingehörte, und man brachte Sandra zu uns zurück. Nach diesem Vorfall verließ sie tagelang nicht mehr das Haus. Selbst in der größten Eile würde meine Mutter ab jetzt kein Risiko mehr eingehen. 

Renate

1982 begann ich eine Beziehung mit Renate, die im selben Ort wohnte und die Tochter eines Ärztepaares war. Während unserer zweijährigen Beziehung war ich überaus glücklich. Sogar meine Eltern mochten sie, obwohl sie der Meinung waren, dass unsere sozialen Hintergründe nicht übereinstimmten. Dennoch fanden sie Renate durchweg sympathisch. Mit ihr hatte ich den längsten Urlaub meines Lebens – sechs Wochen in Spanien und Portugal. Ein Urlaub, an den ich heute noch gerne zurückdenke. Wir verbrachten jeden Tag zusammen. Durch Renate erkannte ich, dass das Leben mehr bedeutet als nur Arbeit und Gehorsam.  Sie war eine selbstbewusste junge Frau mit einer eigenen Meinung. Sie mochte meine Musik und begleitete mich zu vielen Auftritten. Endlich erhielt ich ein positives Feedback für das, was ich tat und für die Person, die ich war. Die besondere Freundschaft zwischen Renates Airedale-Terrier Jack und unserer Sandra war eine Freude zu beobachten. Jack, mit seinem drahtigen Fell und dem liebevollen Blick, war der perfekte Spielgefährte für Sandra. Es fühlte sich so an, als hätten wir – die Menschen und die Hunde – eine perfekte Harmonie gefunden. Wir waren zwei Paare, verbunden durch eine unerklärliche Bindung, die weit über die bloße Begleitung hinausging.

Die malerische Landschaft der Ville, mit ihren glitzernden Seen und endlosen Wäldern, war unser Spielplatz. Die Natur bot uns zahlreiche Möglichkeiten für Tagesausflüge, von ausgedehnten Wanderungen durch den dichten Wald bis hin zu ausgelassenen Schwimmtouren in den ruhigen Seen. Manchmal, wenn das Wetter besonders mild war, übernachteten wir direkt am Seeufer. Zu jener Zeit waren diese Orte noch nicht so stark kommerzialisiert wie heute. Es gab keine Zäune oder abgegrenzte Badebereiche, nur die freie Natur und das sanfte Rauschen des Wassers. Die beiden Sommer, die wir zusammen verbrachten, waren erfüllt von unvergesslichen Abenteuern. Jedes freie Wochenende nutzten wir für Ausflüge an die holländische Küste. Mit unserem Zelt und den Hunden im Schlepptau machten wir uns auf den Weg, um die salzige Seeluft und die endlose Weite des Meeres zu genießen. Wir verbrachten Tage am Strand, spielten mit den Hunden, ließen sie im Wasser toben und suchten nach Muscheln im weichen Sand. Die Nächte verbrachten wir zeltend unter dem Sternenhimmel, das sanfte Rauschen des Meeres als unser Schlaflied. Während dieser Zeit entdeckten wir nicht nur die Schönheit der Natur, sondern auch die Tiefe unserer Freundschaft und die unermessliche Freude, die unsere vierbeinigen Freunde in unser Leben brachten. Es war ein unvergesslicher Anblick, wenn Sandra, mit ihrem langen, dichten Fell, aus den Fluten der Nordsee kam. Jeder ihrer Schritte hinterließ tiefe Fußspuren im weichen Sand, und ihre Augen funkelten vor purer Freude und Aufregung. Der salzige Wind fegte durch ihr Fell und brachte es zum Flattern, als ob sie eine Art pelziger Meeresgöttin wäre, die aus dem Wasser auftauchte. Doch der wirklich unvergessliche Moment war, wenn Sandra sich dazu entschied, sich im Sand zu wälzen. Mit einem fröhlichen Schnauben und einem schnellen Blick zu uns, als ob sie unsere Zustimmung suchte, ließ sie sich auf den Rücken fallen und begann, sich hin und her zu rollen. Innerhalb von Sekunden war sie von oben bis unten paniert, ihr einst schwarzes Fell jetzt mit einer Schicht aus goldenem Sand bedeckt. Ihr Aussehen erinnerte uns an ein gigantisches, pelziges Schnitzel, und das war jedes Mal ein Anblick, der uns zum Lachen brachte. Aber mit dem Sand kamen natürlich auch die unvermeidlichen Aufräumarbeiten. Der Sand fand auf mysteriöse Weise den Weg in jeden Winkel unseres Autos, knirschte unter den Füßen und bedeckte das Armaturenbrett. Trotz unserer Bemühungen, Sandra vor dem Einsteigen gründlich abzuklopfen, schien der Sand eine Art magnetische Anziehungskraft zu haben und verfolgte uns überallhin. Im Zelt war es nicht anders. Sandra hinterlies eine Spur von Sand über unseren Schlafsäcke und der ganzen Ausrüstung. Manchmal fanden wir Sandkörner in unseren Schuhen oder in den Taschen unserer Jacken, als stille Erinnerungen an Sandras Freude am Strand. Aber trotz der zusätzlichen Arbeit, die Sandras Sandbäder mit sich brachten, konnten wir nicht anders, als sie zu lieben. Ihr Glück und ihre Freude waren ansteckend, und die Sandspuren, die sie hinterließ, waren nicht nur ein Zeichen für die Unordnung, sondern auch für die wunderbaren, unbeschwerten Tage, die wir zusammen am Strand verbracht haben.

Karneval 1984 lernte Renate ihren Traumprinzen kennen, mit dem sie bis heute zusammen ist und Kinder hat. Gut für sie und schlecht für mich.

„Hunde haben mich nie gebissen. Nur Menschen.“

Der erste schlimme Verlust

Auch heute noch wird mir schwer ums Herz, wenn ich an die einzigartige, süße Sandra denke. Wir durften insgesamt sieben wundervolle Jahre miteinander verbringen. Als ich sie damals vom Metzger holte, war sie gerade vier Jahre alt. Drei Jahre später erkrankte sie an Gebärmutterkrebs. Nach einer Totaloperation erholte sie sich jedoch schnell und erfreute sich bald wieder bester Gesundheit. Die ganze Familie litt und bangte mit ihr. Leider wurde Sandra nur elf Jahre alt. Wir mussten die schmerzvolle Entscheidung treffen, sie einschläfern zu lassen. Ihre Hüftgelenke waren beidseitig inoperabel, ein Prozess, der sich über viele Jahre hinweg abgezeichnet hatte. Mein Vater und ich begleiteten Sandra zum Tierarzt. Als wir nach Hause kamen, stand meine Mutter in der Einfahrt, und ihr Blick fiel auf den leeren Rücksitz. In dem Moment begriff sie, dass Sandra nie mehr zurückkommen würde. 

Ich war fest davon überzeugt, dass ich nie wieder einen Hund haben würde. Diesen Schmerz wollte ich nicht noch einmal erleben. Plötzlich konnte ich meine Eltern verstehen. 

Stress

Neben der Musik fuhr ich Taxi, um mein bescheidenes Einkommen als Musiker aufzubessern. Ich spielte mit Schlagersternchen, Galabands und tourte mit meinem Freund Winfried Bode rockend durch Deutschland, nachdem ich 1980 in seine Band eingestiegen war. Wir schliefen im VW-Bus, in Bierkellern, hinter der Bühne oder bei frisch kennengelernten Frauen für eine Nacht. Meine Kollegen beim Taxiunternehmen waren teils alte Schulfreunde, und so erschien mir meine Arbeit eher wie ein Freizeitspaß. Wir Taxifahrer hatten eine Stammkneipe, den “Spiegel“. Sie wurde von Angie und Richard geleitet. Ich verliebte mich in Angie, sie sich in mich. Richard zog aus, ich zog ein. Punkt. Eigentlich hätte die Geschichte an dieser Stelle ein nettes Ende haben können, aber leider zog Richard wieder ein und ich wieder aus. Und dann zog ich wieder ein und Richard wieder aus. Dann wurde Angie von mir schwanger. Richard zog wieder ein und ich wieder aus. Das geschah in dreimonatigen Abschnitten. Eigentlich hätte ich schon viel früher die Reißleine ziehen sollen, aber das schaffte ich nicht. Das erhoffte Ergebnis, Angie durch die Schwangerschaft enger an mich zu binden, stellte sich nicht ein. Irgendwann hielt sie sich nicht mehr an den dreimonatigen Ablauf, sondern wollte mit Richard für immer zusammenbleiben, und ich sollte mein Kind niemals sehen. Das teilte sie mir unmissverständlich mit. Durch diese Aussage veränderte sich in der kommenden Nacht alles. Ich war immer ein lustiger, spontaner Mensch, fuhr leidenschaftlich Motorrad, flog in Urlaub und fuhr mit Gondeln auf die höchsten Pässe zum Skifahren. Ich blieb auf Partys und in Kneipen bis zum Schluss, um dann mit den Kellnern bis zum Morgengrauen um die Häuser zu ziehen. Ich spielte auf großen und kleinen Bühnen, spulte tausende Kilometer auf Europas Straßen ab und war alles andere als ängstlich. In dieser Nacht lernte ich die Angst kennen. Ich war mir sicher, dass ich sterben würde. Das war die erste von unzähligen Panikattacken in den folgenden Jahren. In den 80ern war das Phänomen der Angststörung noch nicht so bekannt wie heute. Im Laufe der nächsten Jahre durchlebte ich absurde Phasen, und immer wieder erlitt ich Panikattacken. Ich war nicht mehr in der Lage, Motorrad zu fahren, die Autobahn zu benutzen oder in Bus oder Zug zu steigen. Ich verstand die Welt nicht mehr. 

Meinen Sohn habe ich erst kennengelernt, als er ein Jahr alt war. Sein Großvater kam mit ihm vorbei und forcierte, dass wir uns kennenlernten. Angie war mittlerweile von Richard getrennt. Ich zog wieder ein. Und wieder aus nach drei Monaten. 

„Angst ist wie ein Schatten, der einen überallhin verfolgt und einem das Licht nimmt.“

Meine hundelose Zeit

Es sollten 12 Jahre vergehen, bis ich wieder einen Hund besitzen würde. Lange Jahre der Rastlosigkeit und Selbstfindung, in denen leider kein Platz für Hunde war. Ich vertiefte meine musikalischen Fähigkeiten und brach nach Wien auf, um dort Bass am American Institute of Music zu studieren. Dort tauchte ich durch viele glückliche Umstände in die lokale Szene ein. Ich hatte zahlreiche Auftritte im berühmten Bermudadreieck und gründete die Band „Fatman in the Mist“. Durch Ole, meinen schwedischen Schlagzeuger, ergab sich die Gelegenheit, an der Musikschule von Malmö zu unterrichten und mit der Band in Schweden zu touren. Nach meiner Rückkehr aus Malmö schloss ich mein Studium in Wien ab. Les und Linda Wise, die Inhaber des American Institute of Music, boten mir danach eine feste Stelle als Direktor an. Zwei Jahre später lernte ich per Zufall Jürgen von der Lippe kennen und nahm sein Angebot an, in Köln als Musikredakteur und Autor bei „Geld oder Liebe“, der damals sehr erfolgreichen Samstagabendshow, zu arbeiten. Der zuständige Redakteur fragte im finalen Vorstellungsgespräch, ob ich auch filmen könne. „Selbstverständlich“, antwortete ich und meldete mich noch am selben Abend zu einem Kamera-Grundkurs an der VHS an. Jahre später lachte er schallend, als ich ihm die Geschichte erzählte. Nach meiner Rückkehr aus Wien lebte ich noch einmal mit Angie und unserem Sohn zusammen. Immerhin hielten wir es sechs Monate lang miteinander aus. Es war ein neuer Rekord und gleichzeitig das endgültige Ende meiner Beziehung mit Angie. Endlich konnte ich loslassen und lernte andere Frauen kennen.

Mit Bettina, meiner ersten Frau, kehrten endlich die Hunde in mein Leben zurück. Es war eine Zeit, in der ich neue Wege einschlug und mich von alten Gewohnheiten lösen konnte. Ich erkannte, dass ich trotz meiner noch selten auftretenden Panikattacken ein erfülltes Leben führen konnte. Dies war für mich ein gewaltiger Schritt zurück ins Leben und zum dazugehörigen Spaß. Ich fahre schon lange wieder Motorrad, benutze Seilbahnen, bewege mich über Autobahnen und fahre wieder mit dem Zug.

Neben „Geld oder Liebe“ arbeitete ich als Autor und Redakteur für andere Sendungen wie „Zimmer frei“, „Schmidteinander“, „ARD-Wunschkonzert“, „Jeopardy“, „Quarks und Co.“, und viele weitere mehr. Leider verstarb der Redakteur Andreas, mit dem ich mittlerweile eng befreundet war, viel zu jung an Krebs – ein großer Verlust für den WDR und mich.

Mit Jürgen habe ich insgesamt zehn Jahre lang zusammengearbeitet. Er feierte seinen 50. Geburtstag mit dem gesamten Team bei mir in Atzlenbach im Bergischen Land. Für das kleine Atzlenbach war es ein Fest, das in langer Erinnerung bleiben sollte.

Der Handlanger

Während meiner Tätigkeit beim WDR, in der ich als Redakteur und Autor erfolgreich fungierte, konnten meine Eltern nie ganz begreifen, was ich dort wirklich tat – vielleicht wollten sie es auch nicht verstehen. Da ich oft unterwegs war, behauptete meine Mutter gegenüber einer Freundin, ich würde als Fahrer beim WDR arbeiten. Bei der Generalprobe von „Geld oder Liebe“ führte ich meine Eltern und deren Freunde durch das gesamte Studio und platzierte sie in der ersten Reihe. Dies war für sie unsäglich peinlich, da Jürgen sie in der Live-Sendung einige Male direkt ansprach. Trotz blutdrucksenkender Medikamente hatte mein Vater während der gesamten Show einen roten Kopf. Als wir Jürgen vor der Sendung im Flur begegneten und ich ihn meinen Eltern vorstellte, wirkten sie ratlos und überfordert. Er führte sie sogar in den Regieraum und hob meine Tätigkeiten, wie beispielsweise das Texten oder die Erfindung von Spielen, mit humorvoller Übertreibung hervor. Später flüsterte meine Mutter mit belegter Stimme ihrer Freundin zu: „Herr von der Lippe kennt Ralf tatsächlich.“ Dass ich eine maßgebliche Rolle in populären TV-Produktionen spielte, hätten meine Eltern mir wohl niemals zugetraut. Sie glaubten vermutlich nicht einmal, dass ich in der Lage war, meine eigenen Schuhe zu binden. Dabei hatte ich bereits seit mehr als fünf Jahren eng mit ihm und anderen Showgrößen, wie zum Beispiel Hape Kerkeling, zusammengearbeitet. Ihr Bild von mir als Versager konnte ich wohl nie ändern. Als uns dann Tina Turner auf dem Weg zu ihrem Auftritt begegnete und sie mich mit „Hey, Ralf“ grüßte, schnappten meine Eltern nach Luft und standen kurz vor einem Kollaps. Dass ich ebenfalls bei der Auswahl der Künstler und in der Zusammenarbeit mit den Plattenfirmen tätig war, hatte ich ihnen zigmal erklärt, was jedoch nur mit einem „Jaja“ kommentiert wurde. Schon Jahre zuvor, als ich in Wien als Direktor des American Institute of Music tätig war, besuchten sie mich einmal zusammen mit einem befreundeten Ehepaar. Morgens gingen wir zusammen einkaufen. In der Bäckerei um die Ecke wurde ich im typischen Wiener Stil als „Herr Direktor“ begrüßt, was bei meinem Vater einen Hustenanfall auslöste. Ich konnte aus den Augenwinkeln sehen, wie gut es ihnen tat, dies im Beisein der Nachbarn zu erleben. Die Szene wurde von keiner Seite kommentiert. Leider war dieser Stolz nur von kurzer Dauer.

Harry

Leider zeigte sich, dass Selbstvertrauen und Stärke alleine nicht immer ausreichen, um allen Herausforderungen des Lebens gerecht zu werden. Als Harry, ein beeindruckender Deutscher Schäferhund, in mein Leben trat, sollte ich eine Lektion lernen, die ich nie vergessen würde.

Die Geschichte begann, ähnlich wie bei Sandra, mit einem Zufall. Während einer Motorradtour mit einigen Freunden machte ich Halt in Welcherath, nahe des Nürburgrings, um in einer Gaststätte einzukehren. Harry war an einer Laufleine befestigt und konnte sich frei auf dem ganzen Hof bewegen. Ein beeindruckender Hund, der an der Leine keinerlei Aggressionen zeigte und selbst bei Anwesenheit anderer Hunde vollkommen gelassen blieb. Irgendwie ergab sich im Gespräch mit dem Wirt, dass dieser Harry lieber in den Händen eines anderen Besitzers wüsste. Seine Partnerin war kürzlich verstorben, und er musste nun alles alleine bewältigen. Harry wurde dabei vernachlässigt. Na, könnt Ihr Euch vorstellen, wie diese Geschichte weitergeht? Harry und ich unternahmen am nächsten Tag einen Spaziergang. Es war ein Moment, der mir zeigte, wie sehr ich die Gesellschaft eines treuen Begleiters vermisst hatte. Wir wanderten zuerst um seinen Heimatort und am nächsten Tag um meinen. Harry war zu diesem Zeitpunkt 3 Jahre alt. Er wurde mein zweiter Hund. An dieser Stelle möchte ich noch einmal auf Sandra, mein Wunderwesen, zurückkommen. Sie begleitete mich vom ersten Tag an ohne Leine, unabhängig davon, wie belebt die Umgebung war. Ich genoss es, sie während des Weihnachtstrubels auf den Kölner Einkaufsstraßen frei laufen zu lassen. Ab und zu fiel sie etwas zurück, und für die anderen Passanten sah es wahrscheinlich so aus, als ob sie alleine unterwegs wäre. Sie folgte mir immer. Ich sah mich als modernen Franz von Assisi, der eine besondere Beziehung zu Tieren hatte. Ich musste später auf schmerzhafte Weise feststellen, dass dies an Sandra lag und nicht an mir. Sie war Franziska von Assisi. Jetzt beim zweiten Hund, sollte mir nach drei Tagen schon klar werden, dass ich ein blutiger Anfänger in der Hundeerziehung war. Bettina, meine damalige Lebensgefährtin, und ich waren mit Harry auf einem Flohmarkt in Euskirchen, wo wir einen kleinen Verkaufsstand hatten. Und was tat ich? Ich ließ ihn frei laufen. Einen großen Schäferhund, über den ich nicht viel wusste. Einen Hund, den ich für mindestens vier Wochen nicht hätte ableinen dürfen. Ich kam mir sehr cool vor mit diesem imposanten Hund an meiner Seite. Der Dackel, den Harry sich schnappte, wurde nicht schwer verletzt und konnte mit einigen Stichen genäht werden. Das war meine Schuld. Hätte er gewollt, hätte der Dackel nicht überlebt. Der Besitzer des Dackels und ich hätten nichts tun können, um die beiden zu trennen. Wir waren beide hilflos und entsetzt: ein Schäferhund und ein Dackel, der vor Todesangst schrie. Harry ließ von ihm ab. Ich hatte ihn in diese Situation gebracht. Einen Kettenhund, der plötzlich auf einem überfüllten Flohmarkt zurechtkommen musste. Einen Hund, der nichts kannte außer seinem Garten und den Waldspaziergängen. Ich erhielt eine Lektion, die ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen sollte. Am folgenden Tag brachte Bettina Harry zurück zu seinem alten Besitzer. Zurück an die lange Leine. Ich konnte es nicht über mich bringen, mitzufahren. Erkennt sich hier jemand wieder? Es ist nicht einfach zuzugeben, dass man seine Fähigkeiten überschätzt hat und dafür Verantwortung zu übernehmen. Bettina hatte Angst vor Harry bekommen und wollte ihn nicht mehr bei uns haben. Was sollte ich tun? Diese Erinnerung und mein schlechtes Gewissen schmerzen mich bis heute, obwohl diese Geschichte bereits 1999 passiert ist und Harry schon lange nicht mehr lebt. Damals habe ich mir geschworen, dass ich niemals wieder ein Tier zurückgeben würde. Niemals.

Berry

Im selben Jahr feierte die Sendung „Tiere suchen ein Zuhause“ ein großes Jubiläum. Ich wurde angefragt, ob ich Zeit hätte und helfen könnte. Ulla Kock am Brink war die Moderatorin. Im Rahmen der Sendung besuchte ich ein Tierheim in Köln. Und es geschah, wie es kommen musste. Ein scheinbar verzweifelter Mischling lief bellend in seinem Zwinger auf und ab. Er beruhigte sich, als ich mich dem Zwinger näherte. Da war er wieder, der Franz-von-Assisi-Moment. Ich empfand diesen Augenblick als magisch und blieb bei ihm, bis das Tierheim schloss. Als ich ging, begann er sofort wieder zu bellen und lief hysterisch umher. Je weiter ich mich von seinem Zwinger entfernte, desto kläglicher wurde sein Gebell. Berry war erst einen Tag zuvor gebracht worden. Man hatte ihn festgebunden an einer Leitplanke auf der Autobahn gefunden. Trotz meines anspruchsvollen Berufs, den Ängsten und den zahlreichen Reisen, die kaum Raum für die Bedürfnisse eines Hundes ließen – Zeit, Zuwendung und angemessene Beschäftigung – fühlte ich mich am nächsten Tag erneut zum Tierheim hingezogen. Trotz aller Widersprüche wollte ich Berry mitnehmen. Ich fühlte mich wie ein Retter, war Hals über Kopf verliebt und wollte eine gute Tat vollbringen. Ich erhoffte mir ein bisschen Dankbarkeit von ihm und dadurch eine ewige Freundschaft. Am nächsten Tag holte ich ihn ab. Ich hatte sämtliche Ausrüstung besorgt, die man als neuer Hundebesitzer benötigt. Ein Hundebett, eine Flexi-Leine, Knochen, Trockenfutter, Handtücher, Bürsten, eine Autobox und vieles mehr. Wir fuhren direkt zur nächsten Wiese. Ich befestigte Berry an der neuen Flexi-Leine. Es war die stärkste, die sie im Laden hatten. Berry startete aus dem Auto heraus und nutzte die volle Länge. Ich höre den Verkäufer noch sagen, dass die Leine für Hunde bis 70 kg ausgelegt ist. Die stärkste Leine riss sofort. Wir waren beide überrascht, der knapp 25 kg schwere Berry und ich. Gott sei Dank blieb er stehen und ich konnte ihn mit einer Kurzleine anleinen. Einen Termin bei einer Hundetrainerin hatte ich schon vereinbart, denn ich wollte, anders als bei Harry, diesmal alles richtig machen. Berrys Geburtstag legte ich auf den 1. April fest. Der Tierarzt, dem ich Berry vorstellte, schätzte ihn auf etwa 8 Monate. Die Trainerin verfolgte einen eher harten Ansatz in der Hundeerziehung. Zum Beispiel benutzte sie eine 10-Meter-Leine und ließ den Hund mit voller Wucht in das Ende laufen, wobei der Besitzer in die entgegengesetzte Richtung rennen sollte. Eine echte Gefahr, dem Hund das Genick zu brechen. Ich hatte Glück, dass dies nicht passierte. In Situationen, in denen es keinen Sinn machte, wurde der Hund, bevor es überhaupt einen Grund gab, eingeschüchtert. Bei dieser Trainerin waren wir nicht in guten Händen, denn das konnte nicht der richtige Weg sein. Es macht durchaus Sinn auf seinen Bauch zu hören bei der Wahl einer Hundeschule, einem Verein, und selbst bei Tierärzten. Wenn Ihr ein merkwürdiges Gefühl habt, dass es nicht für Euer Tier passt: Finger weg. Was hatte ich da eigentlich für einen Hund? Alle schätzten ihn als Mischling ein und sie sollten sich irren. Nur zwei Profis erkannten auf Anhieb, wer Berry wirklich war: Der Wolfsforscher Günther Bloch und der Rassespezialist Gerd Leder. Hätte ich die beiden schon zu diesem Zeitpunkt gekannt, hätte ich viel besser auf Berry eingehen können.

Die närrische Hitparade

Eine meiner letzten Sendungen als Redakteur beim WDR fand in Münster statt: die „Närrische Hitparade“. Ich hatte die Sendereihe bis dato schon einige Jahre begleitet. Bettina wollte mit Berry eine Runde im nahegelegenen Park spazieren gehen. „Bitte lass ihn nicht von der Leine in der fremden Umgebung“, höre ich mich noch sagen. Um 19.15 Uhr, eine Stunde vor der Liveschalte, rief Bettina an, um mir zu sagen, dass Berry verschwunden war. „Wie, verschwunden?“, fragte ich. Ich befand mich in einer gewaltigen Zwickmühle. Als Redakteur konnte ich das Set nicht eine Stunde vor einer Live-Sendung verlassen, aber die Sorge um Berry überwog und ich riskierte es, mir großen Ärger einzufangen. Ich lief los. Der Park war nur wenige Minuten entfernt. Wir sahen Berry in der Ferne, wie er die Wege kreuzte und durch den Park trabte. Für Ärger auf Bettina war in diesem Moment noch kein Platz, obwohl er in mir brodelte.

Es war 19.49 Uhr. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Berry war nicht mehr zu sehen und die Uhr tickte. Mir wurde klar: Nicht nur mein Hund, sondern auch mein Job würden in 26 Minuten Geschichte sein. Bettina kam um die Ecke gerannt und schrie aufgeregt: „Komm schnell, er ist am See!“. Die Schwäne, die Berry anfauchten, verunsicherten ihn. Wie angewurzelt stand er dort und ließ sich anstandslos einfangen. 20.04 Uhr. Im Adrenalinrausch zurück zur Sendung.

Drei Minuten vor Beginn war ich im Studio, hörte noch das Ende der Tagesschau, und dass nun zur „Närrischen Hitparade“ nach Münster umgeschaltet würde. Alles lief gut und ich konnte mich nach der Sendung endlich dem Ärger widmen, den ich auf Bettina hatte.

Geisterfahrer

Berry war ein Ausbrecherkönig; er wartete auf seine Chance und flüchtete dann zielsicher. Ich hatte mittlerweile dazu gelernt: Anleinen, dann erst die Tür öffnen und niemals die Heckklappe des Autos öffnen, ohne ihn vorher zu sichern. Er suchte seine Chance aus dem Nichts heraus. Ich habe unzählige Ausbrüche nicht verhindern können. Sein Lieblingshobby war es, Autos zu jagen. Er tat dies mit erstaunlichem Erfolg. So auch an diesem eiskalten Februartag. Es herrschten Minustemperaturen, es schneite und es war Freitag-Feierabendverkehr. Ich rannte im T-Shirt hinter ihm her in Richtung A4, Abfahrt Poll, auf die Gegenfahrbahn in Richtung Frankfurt. Nach 200 m gab ich auf und sah ich ihn am fernen Horizont die Abfahrt hoch galoppieren. Ich hatte eine nette Hundebesitzerin gefunden, die Berry während meiner Arbeitszeit betreute. Nach Feierabend, es dämmerte schon an dem besagten Freitagnachmittag, wollte ich ihn abholen. Iris und ich plauderten kurz im Garten, die Türen waren sicher verschlossen. Aber da war dieses Loch im Zaun. Das Loch, durch das bislang kein Hund versucht hatte sich durchzuzwängen. Dieses Loch und dieser Moment der Unachtsamkeit reichten für Berry aus, um den Weg in die weite Welt und die vermeintliche Freiheit zu suchen. Auf der nahegelegenen Autobahn gab es genug Autos, die man jagen konnte. Ihr könnt euch Berrys Gesichtsausdruck nicht vorstellen, als er an mir vorbeistürmte. Wie oft hatte ich diesen Ausdruck schon sehen müssen, wenn er die Ohren nach hinten legte und Vollgas gab. Er war nicht mehr ansprechbar. Was hatte ich in diesen Situationen schon geschrien, getobt, geheult, gefleht und ihm den Teufel an den Hals gewünscht! Nicht so an diesem Freitag, da hatte ich die nackte Angst um Berry. Diesmal konnte es nicht gut gehen. A4, Gegenfahrbahn, Schneeregen und Feierabendverkehr. Geistesgegenwärtig rief ich die Polizei an und innerhalb weniger Minuten wurde die Autobahn voll gesperrt. In Gedanken sah ich einen Comic vor meinem geistigen Auge ablaufen. Fliegende Reifen und Lenkräder und ein toter Hund. Blinde Panik und diese verdammte Machtlosigkeit – ich, mitten im Winter im T-Shirt, und Berry auf der Autobahn. Als ich endlich die Auffahrt erreichte, kam ein Polizeiwagen mit Blaulicht angerast und sicherte die Fahrbahn. Ich sah nur Chaos. Autos standen quer auf der Straße und deren Fahrer waren ausgestiegen und fluchten über die Verzögerung. Auf der Gegenfahrbahn zwängte sich ein anderer Einsatzwagen an der Blechlawine vorbei und stoppte auf meiner Höhe, um die andere Seite der Autobahn zu sichern. Kein Berry weit und breit. Mir kam es vor, als wäre schon eine Ewigkeit vergangen. Ich konnte die Funkmeldungen aus dem Polizeiwagen hören: „Hund gesichtet. Rennt auf der Gegenfahrbahn. Wir versuchen ihn zu stoppen.“ Was würde die Polizei jetzt tun? Wie wollten sie einen panischen Hund stoppen? Ihn erschießen, um Schlimmeres zu verhindern? Auf einmal kam Berry zwischen den stehenden Autos, gerade mal 5m entfernt, an mir vorbei gestürmt. Ich rief seinen Namen mehrfach, schrie so laut, dass sich meine Stimme überschlug. Aber Berry verschwand genauso schnell, wie er gekommen war, in die andere Richtung. Ich konnte seine Hilflosigkeit förmlich spüren, als er versuchte, orientierungslos zu fliehen – nur weg aus diesem Chaos. Er war nicht mehr der verspielte und neugierige Hund, den ich kannte. In diesem Moment war er von Instinkten und Panik getrieben, die ihn dazu drängten, vor allem davonzulaufen und sich in Sicherheit zu bringen. Autos hupten, und die Menschen auf den Straßen wurden zunehmend ungeduldig. Plötzlich gab Berry auf. Er stand wie paralysiert mit hängenden Ohren auf dem Mittelstreifen, überreizt von der lauten Blechlawine, den Scheinwerfern, dem Hupen und den Menschen, die versuchten ihn einzufangen. Berry war am Ende mit seinem Hundelatein.

Die netteste Polizistin der Welt konnte ihn mühelos ohne Handschellen abführen. Sie meinte, ich sei genug gestraft. Es gab kein Nachspiel für mich, keine Verwarnung, nichts. Sie verstand, dass Berrys Aktion ein fürchterliches Versehen war. Das würde mir nie mehr passieren. Dachte ich.

Schafe

Jeder Kölner kennt die Poller Wiesen. Auf der berühmten „Schäl Sick“ gelegen, ist hier einer der besten Abenteuerplätze für die Hundefreunde Kölns. Zu jeder Tages- und Nachtzeit findet sich hier immer ein Hund mit seinem menschlichem Begleiter, der am nahegelegenen Rhein seine Runden dreht, sei es morgens um 5 Uhr kurz vor der Schicht, oder abends um 23 Uhr als Gute-Nacht-Runde.

Die Hundewiese war für Berry und mich ein tägliches Ritual. Schnell lernten wir andere nette Hunde und deren Besitzer kennen. Paula, die Boxerhündin mit Rudi, Herkules, den Münsterländer mit Sabine, die Berner-Sennen-Hündin Tammy mit Julia und Werner. Es war ein harmonisches Miteinander, das wir zu jeder Tageszeit genossen. Egal ob bei strömendem Regen oder bei beeindruckenden Sonnenuntergängen am Rheinufer, bei einem kleinen Picknick mit selbstgebackenen Leckereien oder einem Smalltalk unter Gleichgesinnten. Schnell wuchsen Menschen und Hunde hier zusammen. Für mich waren es Stunden des Loslassens und Entspannens, die ich nicht mehr missen wollte. Berry war hier in seinem Element und genoss das Spielen und Toben mit den neu gewonnen Freunden.

Eines Tages sah er am Horizont drei Schafe und trotz aller Versuche ihn zu stoppen, rannte er los, als sei wieder mal der Teufel hinter ihm her. Dazu muss ich sagen, dass wir hier auf den Wiesen bisher komplett verschont geblieben waren von Berrys Jagdeskapaden. Es kam ein ähnliches Gefühl auf wie vor ein paar Wochen, als Berry die Autobahn zum Jagdterrain erkoren hatte. Diesmal ohne Angst um Berry, aber mit Angst um die Schafe.  Ich hatte die Tiere zunächst nicht bemerkt. Erst durch Berrys zielstrebiges Losstürmen schaute ich in ihre Richtung und sah sie mit Berry auf den Fersen galoppierend um die Ecke verschwinden. Als ich mich näherte, bot sich mir ein Bild wie in einer der besten Szenen aus „Ein Schweinchen namens Babe“. Mein Berry, der gehorsamste und liebste Hütehund von allen, saß vor einer Herde von mehr als 100 Schafen, die im Kreis formiert standen. Weit und breit war kein Schäfer zu sehen. Die Passanten erzählten mir, dass Berry die Herde ein paar Mal umrundet hatte und die Schafe sofort gecheckt hatten, dass hier ein Profi am Werk war. Alle Schafsaugen waren auf Berry gerichtet. Er saß lässig einige Meter entfernt, den Blick in Richtung Herde, sodass kein einziges Schaf sich traute einen Fluchtversuch zu unternehmen. Auf einmal kam der Schäfer mit einem kleinen Suzuki-Jeep und zwei Hunden angefahren. „Guter Hund“, sagte er, einen Grashalm kauend. Die Schafe hatten im Morgengrauen das nahegelegene Nachtlager unerlaubt verlassen. Seine Hunde nickten Berry kollegial zu und legten sich in die Morgensonne. Sie hatten Feierabend für heute.

Lunchen

Luna geschah auf eine Art und Weise, von der ich jedem abraten würde. Ich bin der Meinung, dass man keine Tiere auf dubiosen Märkten oder von einem Vermehrer kaufen sollte, um deren Geschäfte nicht unnötig zu unterstützen. Aber wenn das Herz mit im Spiel ist, ist jegliche Vernunft weg.

Bettina und ich fuhren an einem wunderschönen Sonntag zum Markt nach Lüttich. Ich mochte die Stadt schon immer gerne, und von Köln aus ist man in knapp einer Stunde dort.

Wir ahnten nicht, dass es auf dem Markt Tiere zu kaufen gab. Gerade mal ein paar Wochen alt, saß Luna in einem Vogelkäfig. Eine erbärmliche Handvoll Hund, eingepfercht zwischen Hühnern und Gänsen, denen es nicht besser ging. Ich kann Tiere als Ware nicht ertragen. Seit über 25 Jahren bin ich aus Überzeugung Vegetarier. Ich gestehe jedem Lebewesen Gefühle zu und versuche mich, in seine Lebenssituation hineinzuversetzen. Zu Beginn meiner vegetarischen Ernährung hatte dies rein ethische Gründe, später kamen dann die gesundheitlichen Vorteile hinzu. 

Bettina und ich wollten die kleine Luna nicht dort zurücklassen. Da waren wir uns auf der Stelle einig. Sie war auf der Rückfahrt ruhig und taute erst nach drei Tagen auf. An jenem Abend kam sie aus ihrer sicheren Ecke heraus, und zwängte sich unter mein T-Shirt, um mit ihren messerscharfen Krallen meinen Rücken aufzuschlitzen und mir direkt am Ohrläppchen zu knabbern. Sie wurde in den nächsten Wochen zu einem ausgesprochenen Wirbelwind, Berry war auch ein Wirbelwind, na prima. Man sollte keinen zweiten Hund dazu holen, wenn man mit dem ersten Hund nicht klarkommt. Ich lasse es gelten, wenn man einen reiferen, in sich ruhenden Hund als Zweithund haben möchte, damit der Ersthund sich das Positive abschaut. Das ist zwar keine Garantie für ein gutes Gelingen, aber es kann zumindest eine Chance sein. Weder Berry noch Luna war in sich ruhend. 

Bei den medizinischen Untersuchungen kam heraus, dass Luna kerngesund und ca. acht Wochen alt war. Ein pures Energiebündel. Das war ein Lottogewinn, denn nicht selten sind die Hunde aus solchen Käufen krank und eine lange Leidensgeschichte ist vorprogrammiert. Ganz zu schweigen von den Arztkosten.

Berry und Luna

Berry war sichtlich genervt von diesem kleinen Wesen und hatte Schwierigkeiten, ihre physische Präsenz zu ertragen. Ab dem dritten Tag wurde es dann allmählich besser. Luna respektierte Berry als ihren großen Bruder und Erzieher.

„Die machen das schon untereinander aus, und Berry ist für Luna der Rudelführer.“ Damals fiel ich diesen Pseudo-Weisheiten zum Opfer. Irgendwie glaubt jeder über Hunde Bescheid zu wissen, selbst diejenigen, die keinen haben. Es gibt unendlich viel eingefahrenes Halbwissen, das so lange in den Köpfen der Menschen bleiben wird, solange wir leben. Nach ein paar Tagen machte ich aus Unwissenheit einen großen Fehler, als ich das erste Mal mit beiden Hunden spazieren ging. Wir fuhren ins Bergische Land, um einen der schönen Wanderwege entlang der Dhünntalsperre zu erkunden. Ich wunderte mich, dass Luna sich oft hinlegte. Wir waren schließlich erst eine halbe Stunde unterwegs. Berry hatte Spaß, und Luna gab ihr Bestes, um mitzuhalten. Ab und zu trug ich sie ein Stück. Für Luna hätte es durchaus gereicht, ein paar Minuten im Garten oder auf einer nahegelegenen Wiese zu laufen. 1,5 Stunden mit einem Welpen spazieren zu gehen, war ein riesiger Fehler. Das Spazierengehen mit einem Welpen kann von Woche zu Woche langsam gesteigert werden. Dabei gilt die Faustregel von etwa 5 Minuten pro Lebensmonat. Kleinere Rassen sind früher ausgewachsen als große Rassen und daher ist das nur ein Näherungswert. Vorsicht: Welpen überschätzen sich und neigen dazu, bis zum Umfallen zu laufen. Das dritte Mal, als Berry ausbüxte, war ganz in der Nähe unserer Wohnung. Bettina war mit den Hunden spazieren und ich kam mit dem Motorrad dazu, um von dort zu einem anderen Termin zu fahren. Luna und Berry waren in Bettinas unmittelbarer Nähe. Ich zog meinen Helm an und fuhr los. Ein 1 km langer Weg führte von der Wiese zur Hauptstraße. Kurz bevor ich abbog, schaute ich in den Rückspiegel. Es kamen keine Autos, keine Radfahrer, nur Berry und Luna. Mir blieb fast das Herz stehen. Bettina hatte keine Chance gehabt, beide unter Kontrolle zu bekommen. Berry war seinem Herrchen hinterhergelaufen, und Luna rannte Berry, ihrem großen Bruder und Vorbild, hinterher. Leider hielt sie sich nicht an die Regel, dass Welpen sich noch nicht so sehr anstrengen sollten. Ab diesem Tag hatten wir dann endgültig ein großes Problem. Berry war wieder einmal seiner Passion nachgegangen: Fahrzeuge jagen und sie stellen, nur, dass diesmal auch noch Luna von ihren Mastermind lernte, wie schön es ist zu jagen. Das Thema sollte uns über viele Jahre begleiten.

Synchronität

Was Luna perfekt beherrschte, war das synchrone Durchstarten mit Berry, wenn es ihm mal wieder gelungen war, eine Lücke zu finden. Diese Lücke konnte entstehen, wenn Besuch kam und die Haustür nicht schnell genug geschlossen wurde. Oder wenn ich bei einem Spaziergang zu oft auf mein Handy schaute und Berry die Nase in den Wind hielt, weil er etwas erspäht oder gerochen hatte. 

Dann passierte leider viel zu oft Folgendes: Zwischen dem Start von Berry in Richtung Horizont und Lunas Start verging eine nicht messbare Zeiteinheit. Schneller als Vogelschwärme am Himmel flüchteten die beiden in Richtung Freiheit. Jede ihrer Haken und Wendungen war von vollendeter Eleganz, sodass selbst ein Synchronschwimmerpaar neidisch zugesehen hätte. Mir blieb kaum Zeit, meine Palette an Gefühlen zu durchleben. Verwunderung, Ärger, Staunen, Wut und Bewunderung, Wut auf die beiden und Wut auf mich selbst, weil ich mal wieder den neuen Medien zugewandt war.

Innerhalb von Sekunden waren Berry und Luna, diese kleine schwarze Ratte, die ich besser nie aus ihrem Käfig in Lüttich hätte befreien sollen, weg. Verschwunden! Einer meiner Filmtitel lautet: „Von der Einsamkeit des Hundebesitzers am Waldrand“. Vielleicht kennt ihr die Situation? Diese Hilflosigkeit und dass solche Momente einem wie Stunden vorkommen können. Was ist richtig in der Situation? Stehenbleiben? Zurück zum Auto? Hinterhergehen? Das ist leichter gesagt als getan, speziell, wenn man sich in einem Wald oder unbekannten Gelände befindet. Die Hunde können Haken geschlagen haben und in eine komplett andere Richtung unterwegs sein, als sie losgelaufen sind. Meistens kamen meine beiden Jäger nach einer großen Runde brav zurück. Nicht schimpfen! Nur nicht schimpfen! Wir Hundebesitzer haben gelernt, dass nur die letzte Aktion bestätigt wird. Ärger runterschlucken und Leckerchen rein. Das habt ihr aber toll gemacht. Da ist ja die kleine Luna. Super! Hatte ich „kleine schwarze Ratte“ gesagt? Zum liebsten und süßesten Geschöpf auf dieser Welt? Wie konnte ich nur.  

Autojäger

Berry hatte inzwischen den Rang eines professionellen Autojägers erreicht. Er stellte Autos, als sei er dafür geboren – ein vierbeiniger Highway Police Officer. Für uns bedeutete das, dass wir uns ab jetzt von Autobahnen fernhalten mussten. Wir brauchten ein neues Spaziergebiet und fanden es in der Nähe der Steinbachtalsperre – einen weitläufigen Talkessel. Doch jeder Talkessel hat seine Grenzen. So wie man als Mensch über einen Tellerrand schaut, um mehr zu entdecken, sah Berry das vermutlich auch mit dem Talkessel. Wieder einmal hatten Berry und die kleine schwarze Ratte es geschafft, sich aus dem schrecklichen Joch meiner Unterdrückung zu befreien und in Richtung der B51 zu rennen. Immerhin ist die B51 ein Teil des Jakobswegs, was der Tat zumindest einen spirituellen Sinn verlieh. Normalerweise nahm ich die Hunde auf dem Weg zum Auto an die Leine, denn die letzten 200 Meter führten direkt auf die befahrene Straße zu. Diesmal tat ich es nicht. Die B51 lag ein gutes Stück tiefer als unser Parkplatz. Berry und seine Assistentin Luna nahmen Anlauf und preschten den Hügel hinab. Für einen Hund ist dies schon ein selbstbelohnendes Verhalten, das viel Adrenalin und Dopamin freisetzt – es muss keinen tieferen Sinn haben. Das Rennen an sich ist der tiefere Sinn. Berry erreichte als Erster die Straße und brachte den alten VW Bus stilvoll zum Stehen. Gott sei Dank war es kein rasender Sportwagenfahrer, der Berry und Luna hätte überfahren können, sondern jemand, der gemütlich mit seinem Oldtimer durch die Eifel fuhr. Berry rannte bellend um den Wagen herum. Der Fahrer versuchte, im Schritttempo voranzukommen. Keine Chance. Berry preschte vor und stellte sich wie ein großer Stier, der gleich den Torero angreift, vor den Wagen und bellte ihn an. Luna tat es ihm gleich. Allerdings mit einer eher piepsigen Stimme, die kein Torero ernst genommen hätte. Mittlerweile näherten sich Autos aus der Gegenrichtung dem Ort des Überfalls. Das Gelände war hügelig und von Zäunen umgeben, sodass ich nicht hinterherrennen konnte. Ich schrie aus vollem Halse: „Dann lasst euch doch überfahren, ihr Idioten!“ Doch noch einmal ging alles gut. Damit war auch der Talkessel, dieses wunderschöne Spaziergelände, nach kürzester Zeit verbrannte Erde. Nichts bleibt mehr in den Köpfen der Hunde hängen als ein Ort, an dem sie tolle Jagderfolge hatten. Berry hatte seine Beute gestellt und ging zufrieden mit nach Hause. Er, der Held der B51, verbuchte den Tag als Erfolg. Leider konnte ich den Meister der Landstraße immer weniger von der Leine lassen. Um ihm dennoch ausreichend Bewegung zu ermöglichen, besorgte ich bei Globetrotter ein unzerstörbares 20-Meter-Seil aus dem Bergsteigerzubehör für unsere Spaziergänge.

Selbstreflexion

Warum habe ich überhaupt Tiere? Was bringt mich dazu, einen großen Teil meiner Freizeit freiwillig zu opfern und die Verantwortung für ein Tier zu übernehmen? Ich könnte meine freie Zeit genießen und ohne Verpflichtungen das Haus verlassen. Spontan in Urlaub fliegen und nächtelang wegbleiben, ohne Rücksicht auf jemanden nehmen zu müssen. Was lässt mich darauf verzichten? Möchte ich eine emotionale Leere füllen? Will ich einen Versorgerinstinkt ausleben, den ich nicht bei meinem eigenen Kind ausleben konnte? Was ist es also? Ich muss es vielleicht aus einer anderen Perspektive betrachten. Ich bin offenbar nicht alleine mit dem Wunsch nach einem tierischen Mitbewohner, denn in Deutschland leben viele Millionen Menschen mit Hunden oder Katzen. Ich habe einen intakten Bekannten- und Freundeskreis. Ich gehe einem wunderbaren Beruf nach, mache Musik, und lerne dadurch immer wieder neue und spannende Leute kennen. Smalltalk beherrsche ich auch. Also, was fehlt mir? Bedingungslosigkeit? Jemand, der immer da ist, wenn ich ihn brauche? Jemand, der abhängig von mir ist? Jemanden, der mich bedingungslos liebt? „Komm zu Papa“, „Wo ist denn der liebe Junge?“ Was steckt hinter diesen harmlos dahingesagten Phrasen? Gestern hörte ich einen Passanten zu einem Hundebesitzer vor einer Metzgerei sagen: „Na, wartet der Hund auf die Mama?“ Der Hundebesitzer antwortete: „Nein, auf die Fleischwurst von der Mama“. Er stand dort mit einem großen Weimaraner, dem es vielleicht peinlich gewesen wäre, wenn er den Inhalt dieser Konversation verstanden hätte. Ein Weimaraner ist laut Rassebeschreibung ein ausgesprochen intelligenter und souveräner Jagdhund mit ausgeprägter Wildschärfe. Das bedeutet, dass er geschossenes Wild auf Kommando aufspürt und im normalen Arbeitsalltag, den die Rasse früher einmal hatte, nicht darauf wartet, dass ‚Mama‘ die Fleischwurst bringt. Was für eine Degradierung seiner Fähigkeiten. Aber, bin ich eigentlich anders als der Hundebesitzer. Degradiere ich meine Hunde nicht genauso?

Ich bin mit Lassie und Timmy aufgewachsen, habe nach dem Duschen samstags Daktari geschaut und schenkelklopfend mit Clarence zusammen geschielt. Flipper, Sandy und Bud waren meine Freunde. Wenn Flipper die Verbrecher stellte oder Haie vertrieb, jubelte ich vor Freude. Tarzan, mein großes Vorbild, lebte zusammen mit den Tieren des Waldes. Sie waren seine Freunde. Winnetou und Old Shatterhand liebten ihre Pferde und gingen mit ihnen durch dick und dünn. Iltschi und Hatatitla, so hießen die beiden, waren sogar Brüder. Zwei Blutsbrüder und zwei Pferdebrüder, gemeinsam im Kampf gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt. Flicka und Fury, Tom und Jerry, Bugs Bunny, Black Beauty und Ferien auf Saltkrokan mit Bootsmann zählten zu meinen Klassikern. In Malin, die 19-jährige Tochter von der Kräheninsel, und in Paula, die Tochter von Marsh Tracy aus Daktari, war ich unsterblich verliebt. „Ein Platz für Tiere“ mit Bernhard Grzimek war mein wöchentliches Highlight. Ich segelte mit Jacques Cousteau und seinem Schiff Calypso hinaus aufs hohe Meer und tauchte mit ihm ein in die tiefen Welten des Ozeans. Gustav Knuth begeisterte mich in der Serie „All meine Tiere“ als Tierarzt, und insgeheim wünschte ich mir, er wäre mein Vater. Ich habe Jane Goodall und Dian Fossey zum ersten Mal in der Sendung „Im Reich der wilden Tiere“ gesehen, und beide haben mich zutiefst fasziniert. Den Spielfilm über das Leben von Dian Fossey, „Gorillas im Nebel“, kann ich mir nicht mehr ansehen wegen der Grausamkeiten, die den Gorillas zugefügt wurden. Dian Fossey wurde leider eines Tages, wahrscheinlich ermordet von Wilderern, in ihrem Camp aufgefunden. Sie widmete sich dem Schutz der Berggorillas. Die Lassie-Spielfilme sind mir zu hart. Es ist kaum für mich zu ertragen, wenn Lassie verkauft werden muss, weil es der Familie schlecht geht und sie von der wunderbaren 10-jährigen Elisabeth Taylor und Roddy McDowell getrennt wird. 

Es gibt noch viele Beispiele mehr und langsam beginne ich zu verstehen, warum ich Tiere so liebe. Wenn beim Angriff auf die Normandie in „Der Soldat James Ryan“ Tausende von Soldaten im blutgetränkten Sand sterben, löst das kaum Emotionen in mir aus, denn für mich ist es nur ein Film. Bitte versteht mich nicht falsch, ich verabscheue Krieg. Aber weitaus tragischer finde ich den Tod des Muttertiers in „Der Bär“ von Jean-Jacques Annaud im Vergleich dazu, wenn ein U-Boot in einem Kriegsfilm versenkt wird.

Ein zentraler Aspekt für mich ist die Verletzlichkeit von Tieren, die dem Menschen bedingungslos ausgeliefert sind. Sie können verkauft, erschossen oder geangelt und wieder ins Wasser geworfen werden. Sie können als Versuchstiere in Laboren dienen, nur damit wir neue Kosmetika haben, oder sie werden mit Sprengstoff am Körper unter Wasser trainiert, um auf Knopfdruck Schiffe zu versenken. Oder man gewinnt mit ihnen Pokale und hohe Siegprämien, ohne die Tiere zu fragen, ob sie das überhaupt wollen. Die Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Dies macht mich zutiefst traurig und wütend. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich weniger über das Wohl von Tieren oder Menschen nachgedacht habe. Doch in den letzten Jahrzehnten hat sich das verändert. In einer Zeit, in der das Wort ‚Gutmensch‘ als Schimpfwort gilt, Hasskommentare im Internet aufgrund der Anonymität unfassbare Ausmaße erreichen und der Egoismus der Menschen zunimmt, finde ich es schockierend, dass wir das Naheliegende – Respekt und Empathie – zunehmend aus den Augen verlieren. Aber warum liebe ich Tiere denn nun? Ich schätze die körperliche Nähe und die Verbundenheit. Ich liebe es, für sie zu sorgen und Verantwortung zu übernehmen. Ich liebe es, wenn sie sich in meiner Nähe wohl fühlen. Ich liebe es, sie zu streicheln, zu knuddeln, mit ihnen durch das Unterholz zu laufen oder, wie mit meinem Hund Cooper, in den Dünen zu liegen. Ich liebe es, ihren Geruch einzufangen. Ich möchte für sie da sein und nehme es gerne in Kauf, dadurch Einschränkungen zu haben. Zum Zeitpunkt, an dem ich dieses Kapitel schreibe, ist Cooper seit vier Wochen tot. Mein Leben ist leerer. Mein Herz schmerzt und es ist kaum auszuhalten. Nach Hause zu kommen und nicht von ihm erwartet zu werden tut unendlich weh. Für mich macht es keinen Unterschied, ob ich ein geliebtes Tier oder einen Menschen verliere.  

Mein Leben ist schlagartig leerer. Mit Cooper, Berry, Sandra und all den anderen lieben Hunden, war mein Leben voller. Sehr viel voller. Wertvoller. Das ist es, warum ich gerne mit Tieren zusammen bin.

Bye bye Mama

Bettina und ich lebten in Porz-Wahn, einem Stadtteil von Köln, ganz in der Nähe des Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Porz gilt zwar nicht als der begehrteste Stadtteil Kölns, doch da Bettina dort eine schönere Wohnung hatte, war es naheliegend, dass ich zu ihr zog. Meine Wohnung in der Kölner Innenstadt lag zwar zentraler, war jedoch für zwei Personen und zwei Hunde vollkommen ungeeignet. Mein Elternhaus lag etwa eine halbe Stunde entfernt. Wir machten uns alle paar Wochen auf den Weg dorthin, um meine Eltern zu besuchen. Trotz der ablehnenden Haltung meines Vaters fühlte ich eine gewisse Verpflichtung, von Zeit zu Zeit dort vorbeizuschauen. Berry und Luna wurden eher skeptisch betrachtet. Besonders Berry hatte das Problem, dass er einem Schäferhund sehr ähnlich sah. Die Nachbarn waren ihm gegenüber eher reserviert und zeigten wenig Sympathie, obwohl er niemals aggressives Verhalten Menschen gegenüber an den Tag legte und sich in Hermülheim, in der „Spießerstraße“, besonders gut benahm. Das Stigma, ein gefährlicher Hund zu sein, konnte er einfach nicht loswerden. Seit Sandra, die quasi von einem Heiligenschein umgeben gestorben war, hatte kein anderer Hund mehr das Haus betreten. Bis auf eine Situation, kurz nach Sandras Tod, als meine Mutter von guten Freunden einen Rauhaardackel geschenkt bekam. Sie nahm ihn nicht an, da die Trauer über Sandras Tod noch viel zu tief saß. Ich kann nicht verstehen, wie man einen Hund verschenken kann, und empfinde es als aufdringlich gegenüber dem Beschenkten. Ganz zu schweigen vom Hund. Wie kann ein Züchter einen Welpen einfach so als Geschenk abgeben? Ohne zu prüfen, ob die zukünftigen Besitzer ihm ein gutes Zuhause bieten wollen oder können.

Wir feierten den 70. Geburtstag meiner Mutter mit vielen Freunden im August 1999. Selbst mein sonst so miesepetriger  Vater ließ sich zu einigen Tänzchen hinreißen. Am darauffolgenden Montag hatte meine Mutter einen Arzttermin, da sie sich schon seit einiger Zeit unwohl fühlte. Sechs Jahre zuvor hatte sie Brustkrebs überstanden. Zwei Tage später kam  leider die schreckliche Diagnose. Der Krebs war zurückgekehrt. Ich ahnte, dass die Diagnose das Todesurteil für meine Mutter war. Ab jetzt fuhren wir fast täglich hin. Wir versuchten ihr Mut zu machen und sie entschloss sich erneut, den Kampf gegen das Unvermeidliche aufzunehmen. Ihr Verhältnis zu meinen Hunden änderte sich förmlich mit der Diagnose. Von einer anlehnenden Distanz zu einer grenzenlosen Nähe, die die Hunde freudig annahmen. Ab diesem Tag schlossen sie meine Mutter vollständig in ihr Herz. Sie bekamen von ihr alles, was sie wollten, und ich versuchte gar nicht erst, ihr die übermäßige Fütterung zu untersagen. Berry wandelte sich vom skeptisch beäugten Schäferhund zum süßen „Liebchen“, wie sie ihn ab diesem Tag nannte. Luna verwandelte sich in einen Schoßhund und lag die meiste Zeit bei ihr im Bett. Sie verbrachten Zeit zusammen im Garten, die Hunde durften sogar zu ihr auf das sonst so heilige Sofa, und sie unternahm lange Spaziergänge mit ihnen. Ab diesem Tag wurde sie stiller und verschlossener. Ich erinnere mich an eine der intensivsten Umarmungen meines Lebens, die mich noch heute schaudern lässt. Vielleicht kann nur eine Mutter auf eine solch einzigartige Art umarmen – mit einer Fülle an Fürsorge und Wärme, als wolle sie mir all ihre Liebe auf den Weg geben, in dem Wissen, dass uns nicht mehr viel gemeinsame Zeit blieb. Schon früher hätte ich mir diese Nähe gewünscht, doch gerade deshalb wurde dieser Moment umso kostbarer und unauslöschlicher. Es war die allerletzte Umarmung, die uns für immer verbinden sollte. Sie sprach von den Hunden, der Nachkriegszeit und vor allem von Sandra. Sie erzählte von unseren gemeinsamen Urlauben und von ihrer Schulzeit. Sie erzählte von Heidi, einem Pekinesen, den sie sich mit fünf Jahren zu Weihnachten gewünscht und – im Gegensatz zu mir – tatsächlich bekommen hatte. Meine Mutter wurde 1929 geboren und lebte mit ihren Eltern in Ostpreußen, im damaligen Schneidemühl, dem heutigen Pila, wo meine Großeltern einen kleinen Bauernhof besaßen. 

Mama wuchs mit ihren beiden Brüdern in einem ländlichen Paradies auf. Schon früh lernte sie, was es bedeutete, Verantwortung für einen Hund zu übernehmen. Meine Großeltern waren streng, insbesondere wenn es um Verantwortung ging. Natürlich unterstützten sie meine Mutter bei der Erziehung und Pflege des Hundes, doch sie musste trotzdem lernen, was es bedeutet, zu ihrem Versprechen zu stehen. Das Leben auf dem Hof war nicht einfach, und so mussten selbst die jungen Kinder mit anpacken. Es gab keinen Tag, an dem meine Mutter nicht mit der kleinen Heidi spazieren war und sich um sie kümmerte.

Heidi durfte mit in die Dorfschule und wurde schnell zum Liebling der Klasse. In den nahegelegenen Seen verbrachten meine Mutter und ihre Brüder, Willi und Albert, mit Heidi ihre Sonntage. Sie erzählte mir strahlend davon und zeigte mir die alten Fotoalben, die sie wie einen Schatz hütete und im Kleiderschrank aufbewahrte. Die Bilder waren stark vergilbt und hatten einiges hinter sich: eine Flucht, einen Krieg und viel Feuchtigkeit. Es war ein Wunder, dass die Fotos noch existierten. Heidi war ein  schlauer Pekinese, erzählte sie mit feuchten Augen und rosigen Wangen. Sie war anhänglich und ein guter Wachhund. Sie ließ sich von Mama kämmen und schlief mit ihr im Bett. Sie gab meiner Mutter all das, was ich mir auch schon als Kind von einem Hund gewünscht hatte.

Am 26. Januar 1945 starben Heidi und Albert, Mamas Bruder, beim Beschuss durch russische Stalinorgeln. Meine Mutter flüchtete am nächsten Tag mit ihrer Familie, kurz bevor die russische Armee am 31. Januar Schneidemühl einkesselte.

In der letzten Woche vor der Chemotherapie wollte sie keinen Besuch mehr empfangen. Sie wollte keine Tränen und bedauernden Blicke ihrer Freundinnen sehen. Am letzten Samstag, bevor mein Vater sie zur Behandlung nach Meschede brachte, fuhren wir mit ihr nach Köln zum Brunch. Sie wollte noch einmal den Kölner Dom und den Rhein sehen. Auf dem Rückweg zum Auto sagte sie, dass sie heute wahrscheinlich zum letzten Mal in der Stadt gewesen sei. Wir ahnten, dass sie recht hatte. Ihre ruhige Stimme, gepaart mit einem aufmunternden Lächeln für ihren Sohn und Ehemann, ließ die Zeit stillstehen und hämmerte uns mit voller Wucht die Realität in unsere Seelen. Zwischen meinem Vater und mir herrschte mittlerweile eine Art Waffenstillstand, den wir wortlos geschlossen hatten, da meine Mutter sich dies sehnlichst wünschte. An diesem letzten Wochenende übernachteten Bettina und ich bei meinen Eltern, während die Hunde die letzten Stunden vor der Abreise nach Meschede im Schlafzimmer meiner Mutter verbrachten. Der enge Körperkontakt zu den Tieren gab ihr Halt und Kraft. Mit ihnen konnte sie weinen und loslassen, was wir an den geröteten Augen erkannten, wenn sie müde lächelnd aus dem Zimmer kam. Leider habe ich nie erlebt, dass meine Eltern sich einmal in den Arm genommen oder geküsst hätten. 

Wenige Wochen später war sie tot. Ich hatte noch am Vorabend mit ihr in der Klinik telefoniert. Sie sollte in den nächsten Tagen für einige Zeit nach Hause kommen, bevor die zweite Chemotherapie begann. Vielleicht hat sie mich angelogen und wollte mir die Wahrheit nicht zumuten. Multiples Organversagen wurde als Todesursache festgestellt. Mein Vater war bei ihr, als sie einschlief.

Die Beerdigung fand zwei Wochen später in Hürth statt, wo bereits meine Großeltern, ein Onkel und ein Bruder von ihr begraben lagen. Es war ein eiskalter Wintertag, stürmisch und regnerisch. Meine Mutter war sehr beliebt, und entsprechend viele Freunde und Bekannte kamen, um sich von ihr zu verabschieden. Ich erlebte die Beerdigung wie in einem Film. Ich war zu dünn angezogen, denn ich hatte mich schick gemacht, so wie sie es gerne gehabt hätte. Der Wind drang durch den dünnen Stoff meiner Anzugshose. Ich zitterte und konnte es kaum aushalten, bis alle Trauergäste am Grab vorbeigegangen waren und meinem Vater und mir ihr Beileid ausgesprochen hatten. Schlussendlich konnte ich mich alleine am Grab verabschieden. Mein Vater und die übrigen Gäste waren schon auf dem Weg zum Restaurant. Ich legte das vergilbte Bild von Heidi, ein schönes Foto von Sandra, und die Zeitungsartikel über meine Unfälle, die sie stets in ihrem Portemonnaie aufbewahrt hatte, in ihr Grab. Mich überkam ein Gefühl, das mir bis dahin und seitdem nicht mehr begegnet ist. Ich fühlte mich am Grab festgehalten und konnte mich nicht lösen. Trotz der Kälte und des beißenden Windes kam es mir vor, als wäre ich angekettet. Ich verlor jegliches Zeitgefühl. Die letzte Umarmung und die Verabschiedung waren wieder präsent. Ich spürte ihre Wärme und dieses ermutigende Lächeln, das ich für immer konservieren wollte. Es kostete mich große Überwindung, mich loszureißen, und zum ersten Mal erfuhr ich die Bedeutung dieses Wortes am eigenen Leib. Es war ein Trost zu wissen, dass die Hunde im Auto auf mich warteten. 

Leider erwies sich der Waffenstillstand zwischen meinem Vater und mir als nicht von Dauer, und unser Verhältnis wurde nach dem Tod meiner Mutter noch distanzierter als je zuvor. Fünf Jahre später starb er, vereinsamt und verbittert. Was mir bleibt, sind seine negativen Worte über mich und die Verunsicherung, die sie bis heute in mir auslösen.

Hundetrainer Ralf

Berry war ein ausgesprochen liebenswerter Hund, solange er nicht an der Leine geführt wurde. Wenn wir auf andere Hunde stießen, war er kaum zu halten, so sehr regte er sich an der Leine auf.

Selbst wenn nur jemand am Auto vorbeiging, verlor er vollkommen die Kontrolle, sodass das Auto zu wackeln begann, als stünde es kurz davor umzukippen. Mit seinem weit aufgerissenen Maul und dem Geifer, den er an die Scheibe spuckte, wirkte Berry furchteinflößend. Berry’s Jagdabenteuer, seine zahlreichen Ausbruchsversuche und seine Leinenaggression machten ihn leider zu einem denkbar ungeeigneten Vorbild für Luna. Anfangs dachte ich noch, dass ich das in den Griff bekommen könnte. Berrys Jagdabenteuer, seine zahlreichen Ausbruchsversuche und seine Leinenaggression machten ihn leider zu einem denkbar ungeeigneten Vorbild für Luna. 

Plötzlich war mir klar, was ich werden wollte: Ich wollte Hundetrainer werden. Doch wie wird man Hundetrainer? In kürzester Zeit fand ich einen Ausbildungsplatz, der knapp eine Stunde von Köln entfernt war. Die Ausbildung dauerte 18 Monate. Wir waren 15 Teilnehmer, darunter auch Petra, meine zukünftige  Frau. Schnell kamen wir uns näher und ab dem zweiten Seminarmonat teilten wir mehr als nur unsere Leidenschaft für Hunde. Der Kursinhalt war vielfältig. Nach einer Abschlussprüfung sollte man befähigt sein, eine eigene Hundeschule zu leiten. Dazu gehört langjährige Erfahrung und es ist unabdingbar, für eine gewisse Zeit in einer professionell geführten Hundeschule zu hospitieren. Es gibt zu viele Rassen und zu viele unterschiedliche Besitzertypen, um nach nur 18 Unterrichtswochenenden theoretischem Unterricht ein guter Hundetrainer zu sein. Zumal es mit Hunden sehr brenzlig werden kann, denn ein Hund kann gefährliche, sogar tödliche Situationen verursachen. Ein Hund, der ausbüxt, weil sein Besitzer unachtsam war, kann einen Unfall verursachen, der dann schwerwiegende Folgen hat. Wir sind alle nur Menschen und Unachtsamkeit gehört zu unserer Natur. Umso wichtiger ist es, dass der Hundebesitzer seine Unachtsamkeit zumindest durch einen sicheren Rückruf und andere essenzielle Kommandos ausgleichen kann. Das ist unsere Pflicht als Hundebesitzer.

Die Hunde des Hundetrainers

Jeder Teilnehmer hatte mindestens einen Hund an seiner Seite, von denen die meisten sich ruhig verhielten, während meine beiden Charmeure es jedoch kaum erwarten konnten, die Harmonie schon vor dem Seminarraum in die Luft zu sprengen. Sie waren laut, ungehorsam und zeigten keinerlei Interesse etwas zu lernen. Der Raum war ca. 60 Quadratmeter groß und die Tische waren kreisförmig angeordnet. Ab sofort waren wir angehende Hundetrainer, geführt von einem österreichischen Ausbilder. Die Vorstellungsrunde war spannend, da die Teilnehmer aus verschiedensten Berufen und Lebenshintergründen stammten. Wenige von ihnen strebten einen hauptberuflichen Weg als Hundeerziehungsberater an. Die vorrangige Motivation lag darin, besser mit dem eigenen Hund umgehen zu können. Für viele war dies der letzte verzweifelte Versuch, ein harmonisches Leben mit dem eigenen Vierbeiner zu haben, nachdem sie schon viele andere Möglichkeiten ausprobiert hatten. Die Probleme der eigenen Hunde waren vorrangig Aggression, Angst oder Jagdverhalten. Die beiden Kolleginnen, Jutta und Renate, hatten ihre Hunde aus Tötungsstationen, Petra war mit ihren beiden Aussies Bandit und Roona da, Ernst hatte seinen Beagle aus einem Versuchslabor und Thomas, der etwas verspätet kommen würde, war mit zwei Briards aus eigener Zucht angekündigt. Die restlichen Tiere waren Mischlinge aus Tierheimen und Pflegefamilien, plus meine beiden Wilden. Berry machte einen großen Aufstand, als wir den Raum betraten, und Luna stimmte zwei Oktaven höher lautstark mit ein. Ich spürte mitleidige Blicke – auf mich, auf die Hunde, wieder auf mich, zum Trainer und wieder zurück zu mir. Ich glaube, dass sich in diesem Moment alle etwas besser fühlten, da nicht die volle Aufmerksamkeit auf sie selbst gerichtet war, sondern auf das Team Alef. Der Trainer  kam mir zu Hilfe und versuchte, mich zu beruhigen, indem er betonte, dass alles in Ordnung sei. Ich sollte mich erst einmal setzen und zur Ruhe kommen. Korrekturen in dieser Situation wären zwecklos. Ich fand meinen Platz zwischen Nanni und Monika. Es war der einzige Ort, der es mir ermöglichte, mit meinen beiden Rabauken relativ entspannt zu sitzen. Berry konnte ich an einem massiven Tisch befestigen und Luna an dem Heizkörper dahinter.

Mit einigem Taktieren und Anstrengung brachte ich die beiden Hooligans dazu, sich hinzulegen. Sie beruhigten sich überraschend schnell, vielleicht ein Trick, um mich in Sicherheit zu wiegen. Und dann, wie in einem schlecht inszenierten Film, betrat Thomas, der offensichtlich das Memo zur Leinenpflicht verpasst hatte, mit seinen beiden Briards das Zimmer. Mein Tisch kippte um, Kaffee und Käsebrötchen verteilten sich auf dem Boden, und die beiden Briards stürzten sich auf Berry, der ihnen gleich bei ihrer Ankunft klar machte, dass sie hier nicht willkommen waren. Berry zog den umgestürzten Tisch hinter sich her und Luna, die dem Kampf wegen ihrer Größe nicht gewachsen war, war zum Glück so angebunden, dass sie nur von der Ferne aus den Teamkollegen lautstark unterstützen konnte. Beamer, Kaffeemaschine und Leinwand wurden Opfer der Eskalation. Berry und ein Briard wurden leicht verletzt und verbrachten das Wochenende hinkend. Durch Thomas‘ Fehltritt erhielten wir einen perfekten Einstieg in die Praxis. Er behauptete, seine Hunde würden normalerweise gehorchen, und er hätte nicht erwartet, dass sie so reagieren würden. Ein Klassiker, der einem Trainer wahrscheinlich in seinem Berufsleben immer wieder begegnet. Ab sofort galt im Haus noch striktere Leinenpflicht. Der Schaden belief sich auf weit über 2000 Euro, ohne die Kosten für meine Brötchen und meinen Kaffee. Eine Hundehaftpflichtversicherung kann manchmal sinnvoll sein.

Während meiner Ausbildung hatte ich noch zahlreiche weitere Erlebnisse mit meinen leinenaggressiven Ungeheuern. Sie verschreckten Passanten mit ihren ängstlichen Hunden und verärgerten Gastwirte. Hunde, die noch lauter waren als Berry, wurden von meinem Duo letztendlich übertönt. Im nahegelegenen Seminarhotel wurde ich regelmäßig vom Wirt darauf hingewiesen, dass ich mit meinem Hund nicht willkommen sei. Eines Abends zeigte Berry dort seine schlimmste Seite und tobte im Schankraum, als ein Gast mit seinem Hund eintrat  der sich postwendend umdrehte und nie mehr gesehen wurde. Diesmal bekam ich Berry nicht beruhigt. Man konnte den Chef in der Küche schreien und mit Töpfen werfen hören, weil er mich und Berry zum Teufel wünschte. Allein weil der Rest meiner Hundetrainer-Kollegen mit mir solidarisch war, konnte er mich nicht rausschmeißen. Mit der Zeit besserte sich Berrys Verhalten, weil ich viel dazulernte und das schnell große Wirkung zeigte. Luna war leider nur noch ein paar Mal dabei, da sie endgültig zu Bettina zog, die sie nun in ihren Alltag integrieren konnte. Es war für mich mit nur einem Hund deutlich einfacher, Veränderungen herbeizuführen.

Trennung

Ich trennte mich von Bettina, da sich zwischen Petra und mir etwas mehr als nur Freundschaft entwickelte. Nach einem Jahr mit wenig Kontakt sind Bettina und ich bis heute noch beste Freunde. Ich habe meine Ehe sehr ernst genommen und hätte niemals gedacht, dass ich eine solche Situation erleben und jemandem so wehtun würde. Wir teilten die Hunde unter uns auf. Natürlich fiel mir das wahnsinnig schwer, aber da ich ja der Verursacher der Situation war, musste ich auch die Konsequenzen tragen. Berry war im Umgang wesentlich anspruchsvoller als Luna, und da Bettina einen problemlosen Hund brauchte, kam nur sie in Frage. Die Aufteilung stand also fest, auch wenn sie mir das Herz brach. Ich konnte Luna noch oft wiedersehen und viele Jahre später haben Bettina und ich sie gemeinsam in meinem Garten beerdigt. Luna wurde stolze 15 Jahre alt und verstarb friedlich am 16.12.2014.

Vom Wolf zum Hund

Die Domestizierung des Hundes begann vor etwa 20.000 bis 75.000 Jahren, als einige Wölfe näher an menschliche Siedlungen herankamen und sich allmählich an das Zusammenleben mit Menschen gewöhnten. Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine wechselseitige Beziehung, bei der die Wölfe den Menschen bei der Jagd halfen und im Gegenzug Nahrung und Schutz erhielten. Durch gezielte Zucht und natürliche Auslese begannen sich die domestizierten Wölfe im Laufe der Jahrtausende sowohl körperlich als auch verhaltensmäßig von ihren wilden Verwandten zu unterscheiden. Dadurch entstand der Haushund (Canis lupus familiaris) mit seinen vielfältigen Rassen, Typen, unterschiedlichen Größen und verschiedensten Eigenschaften. Hunde wurden für verschiedene Aufgaben gezüchtet, darunter die Jagd, Herdenarbeit, Schutz, Fährtenlesen und als Gesellschaftstiere. Heute gibt es weltweit eine große Vielfalt an Hunderassen, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Vorlieben der Menschen zugeschnitten sind. Kleine Hunde neigen oft dazu, in einer für uns unangenehm hohen Frequenz zu bellen. Sie sind häufig unerzogen, da wir Menschen sie leicht an der Leine zurückhalten oder sogar in die Handtasche stecken können. Wie respektlos! Der Besitzer weiß selten, wen er da vor sich hat. Er oder sie hat ihn ausgesucht, weil er klein, handlich und putzig ist. Und er eignet sich gut als Geschenk für die Oma. Der kleine Süße fristet damit sein Dasein auf dem Schoß der liebenswerten Dame. Natürlich macht es auch keinen Sinn, einen Irischen Wolfshund als Schoßhund zu halten. Obwohl er vom Wesen her eigentlich besser geeignet wäre, als ein kleiner Terrier, der es nicht erwarten kann, in Rattenlöchern oder Kaninchenbauten zu stöbern. Ist er dann auch noch süß? Nein, ist er nicht, aber es entspricht seiner wahren Bestimmung. Daher sollte der Satz „Augen auf beim Hundekauf“ unbedingt beachtet werden. Es ist ein bedenklicher Modetrend geworden, Hunde, die durch Filme oder Prominente populär werden, auf eine ‚passende‘ und ‚kompatible‘ Größe zu züchten. Das ist sinnfrei und absolut verwerflich. Reine Geldmacherei und gesundheitlich nicht zu vertreten. Wenn Hunde schnell auf kleinere Größen gezüchtet werden, kann dies zu verschiedenen Problemen führen, die ebenso die inneren Organe betreffen können. 

Einige der möglichen gesundheitlichen Folgen dieser unverantwortlichen Zuchtpraktiken können sein:

1. Organversagen oder -dysfunktion: Die inneren Organe können Schwierigkeiten haben, richtig zu funktionieren, wenn sie in einem unverhältnismäßig kleinen Körper eingezwängt sind. Das kann zu einer eingeschränkten Funktion der Organe führen und das Risiko für Organversagen erhöhen.

2. Atemprobleme: Eine zu schnelle Verkleinerung der Körpergröße kann zu Problemen mit der Atmung führen, da die Lunge und die Atemwege möglicherweise nicht genug Platz haben.

3. Herz-Kreislauf-Probleme: Ein kleinerer Körper kann auch das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen, da das Herz Schwierigkeiten hat, den gesamten Körper ausreichend mit Blut und Sauerstoff zu versorgen.

4. Verdauungsprobleme: Ein kleinerer Körper kann dazu führen, dass der Magen und der Darm nicht genug Platz haben, um effektiv zu arbeiten, was zu Verdauungsproblemen wie Verstopfung, Durchfall oder Erbrechen führen kann.

5. Skelett- und Gelenkprobleme: Eine schnelle Verkleinerung der Körpergröße kann auch zu einer ungleichmäßigen Belastung der Knochen und Gelenke führen, was zu Problemen wie Arthritis, Hüftdysplasie oder Bandscheibenvorfällen führen kann.

Es ist entscheidend, verantwortungsbewusst zu züchten und dabei stets das Wohlbefinden und die Gesundheit der Hunde in den Vordergrund zu stellen. Eine verantwortungsvolle Zucht bedeutet, dass die Züchter auf die genetische Vielfalt und die Gesundheit der Elterntiere achten und die Zuchtziele so setzen, dass sie das Wohlergehen der Tiere fördern.

Bei Berry konnte man zumindest mit Gewissheit sagen, dass er definitiv nicht klein gezüchtet war.

Eberhard Trumler Station

Nach einigen Monaten der Ausbildung besuchten wir im Rahmen des Kursinhalts erstmals die Eberhard-Trumler-Station in Birken-Honigsessen. Ich war von den dort gebotenen Möglichkeiten fasziniert. Eberhard Trumler ist vielen Hundetrainern bekannt, weil er in den 70er Jahren eine Wende in der Hundeerziehung einleitete. Zu der Zeit, als ich die Station kennenlernte, führte Erika Trumler sein bedeutendes Erbe fort. Leider verstarb sie 2020. Sie führte ein aufopferungsvolles Leben mit vielen Entbehrungen im Dienste der Hunde und der Wissenschaft und verdient höchsten Respekt für ihr Lebenswerk. Nach Erikas Tod wurde Dirk Roos der wissenschaftliche Leiter der Station und ihr Nachfolger. Ich war ein Jahr lang ständiger Gast und verstand mich sofort mit Erika. Sie schlug mir vor, eine Gruppe von Hunden im Rahmen einer Studie intensiv zu beobachten. Für mich war das unschätzbar wertvoll, denn ich wollte nicht Hundetrainer werden, ohne zu verstehen, wie Hunde ticken. Leider ist der Beruf des Hundetrainers nicht geschützt, wodurch ein Freizeittrainer die Situationen für Mensch und Hund verschlimmern kann, anstatt sich zunächst das nötige Wissen anzueignen. Die von mir beobachtete Meute bestand aus 45 iranisch-türkischen Pariahunden. Im Gehege gab es zwei Gruppen: Eine kleinere, die räumlich eingeschränkt lebte, und eine größere, die fast das gesamte Areal für sich beanspruchte. Klare Grenzen zwischen den Rudeln waren abgesteckt. Hier ein Beispiel dafür, wie Hunde untereinander interagieren können: Die Führungshündin des großen Rudels hatte viele Jahre lang den Rang der Anführerin inne. Als sie älter wurde und andere Hunde ihre Position infrage stellten, durfte sie fortan nur auf kleinstem Raum leben und wurde sofort attackiert, wenn sie sich der Gruppe näherte. Es gab keine Spur von Dankbarkeit für die langen Jahre ihrer guten Führung. Erika musste sie separat füttern, damit sie genügend Nahrung erhielt. Wahrscheinlich hätte das Rudel sie in freier Wildbahn ihrem Schicksal überlassen.

Ein weiteres Beispiel:

Eine andere Hündin der großen Gruppe musste eingeschläfert werden. Danach herrschte für einige Zeit eine seltsame, gedämpfte Stimmung im Gehege. Für einige Momente wurde es totenstill. Einige aus der Gruppe kamen in die kleine Hütte, in der die Hündin gestorben war, um zu sehen, was dort vor sich ging. Nach dem „Besuch“ gingen die Hunde sofort wieder zum Alltagsgeschehen über. Der Tod der Hündin schien ab diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr zu spielen. Die Situation im Gehege war für mich nie bedrohlich. Nachdem ich in den ersten Tagen oft beschnuppert und beäugt wurde, ignorierten sie mich vollständig und tolerierten meine Anwesenheit. Am allerersten Tag, während ich aufmerksam durch die Kamera blickte, die ich in einiger Entfernung aufgestellt hatte, fühlte es sich plötzlich merkwürdig an meinem rechten Bein an. Einer der Hunde urinierte in aller Seelenruhe gegen meine Hose und über meine nicht wasserdichten Schuhe. Dies war so etwas wie der Begrüßungscocktail. Ich ließ es geschehen und verbrachte den Rest des Tages in Unterhose und ohne Strümpfe im Gehege. Die Sonne schien, und es waren über 20 Grad. Ich vermied direkten Augenkontakt mit den Hunden und bewegte mich unauffällig, ohne die Hunde zu bedrohen oder ihnen unnötig nahezukommen.

Die Sommertage waren lang und die meiste Zeit herrschte Stille im Gehege. Die Hunde lagen in der Sonne und warteten auf die Fütterung. Dann wurde es schlagartig laut, wenn das Quietschen der Schubkarrenräder ertönte, mit denen Erika oder ihr Gehilfe Terry das Futter heranbrachten. Nur ein einziges Mal wurde ich gebissen. Nicht im Gehege, sondern in Erikas Haus. Von Zeit zu Zeit nahm sie Hunde aus dem Rudel auf, die gemobbt wurden und verloren gewesen wären. Dies ist der Nachteil in einem räumlich begrenzten Gehege. Die Tiere können sich nicht aus dem Weg gehen. Einen solchen Hund versuchte ich zu streicheln. Das ist bei mir pathologisch. Ich habe einen Streichelzwang. Erikas Warnung nahm ich nicht ernst, genauso wenig wie die des Hundes. Er schaute weg und knurrte. Schnapp. Finger, Blut, Pflaster, Arzt, Tetanusimpfung, ein kleinlauter Kameramann und eine weitere Lektion.

Erika, Dirk und Terry führten auf der Station ein einfaches und hartes Leben. Mehr als 100 Tiere mussten jeden Tag gefüttert werden, was nicht nur Arbeit bedeutete, sondern auch einen enormen finanziellen Aufwand darstellte. Dieser wurde zum einen von der Gesellschaft für Haustierforschung getragen und zum anderen durch private Spenden. Manchmal lag ein totes Reh, von einem Auto getötet, vor den Toren der Station, das der ortsansässige Förster dort abgelegt hatte. Alles war willkommen. Die Winter auf der Station waren hart. Schnee und Eis machten es Mensch und Tier nicht leicht, den Alltag zu meistern. Parallel zu meinem Jahr auf der Trumler-Station fand meine Ausbildung statt. Ben, der Trainer, wollte mit mir ein Video im Auftrag eines bekannten Verlags drehen. Das war der Ursprung und die Geburtsstunde von Dogtale Movies. Ich war es vom WDR gewohnt, ein Team von Mitarbeitern, um mich herum zu haben, daher gestalteten sich die Dreharbeiten, bei denen ich nun auf mich allein gestellt war, etwas schwierig. Planung, Dreharbeiten, Schnitt und dazu die bekannte Nina Hoger als Sprecherin stellten für mich eine echte Herausforderung dar. Petra führte die zweite Kamera und half mir redaktionell. Das legte den Grundstein für unsere Zusammenarbeit.

Das Rudel

Vor meinem Umzug zu Petra machte ich einen Zwischenstopp in Odendorf, in der Nähe von Rheinbach. Dort befand sich ein kleines, altes Bahnwärterhäuschen, das den Großeltern von Petra gehörte und zurzeit leer stand. Ihr Großvater hatte dort viele Jahre lang mit Pfeife und Signalschild seinen Dienst verrichtet. Hier bezog ich mit Berry und Luna eine vorübergehende Unterkunft, bis Bettina Luna übernehmen konnte. Da Petra und ich nicht überstürzt zusammenziehen wollten, sollte das Häuschen zunächst als Übergangswohnung dienen. Es war nicht ganz einfach, sich in der neuen Umgebung mit zwei Hunden zurechtzufinden. Auch beruflich befand ich mich in einer Art Schwebezustand. Meine Filmproduktion war noch nicht rentabel und um bereits als Hundetrainer Geld zu verdienen, war ich noch nicht soweit. Wie sollte es weitergehen? Das Häuschen war charmant und wir machten es uns gemütlich. Die Bahnlinie verlief nur zehn Meter neben dem Haus. Nach einigen Tagen gewöhnte ich mich an den Lärm der Züge, war mir aber stets der ständigen Gefahr für die Hunde durch den Zugverkehr bewusst. Bis auf einen Vorfall, bei dem ein Besucher die Haustür zu langsam schloss und die Hunde eine ausgedehnte Runde durch den Ort drehten, waren es friedliche Monate ohne besondere Vorfälle. Petra, die nur wenige Kilometer entfernt lebte, kam oft zu Besuch, und wir stellten fest, dass wir gut zusammenpassten. Ich zog zu ihr nach Altendorf auf den kleinen Bauernhof. Petra teilte ihr Zuhause mit ihrem Sohn Leon, den Hunden Bandit, Runa und Fly sowie den beiden Katzen Simba und Filou. Mit meinen beiden waren es nun fünf Hunde. Das war eine Herausforderung! Bandit und Berry waren besonders energiegeladen. Zwei junge Herren, die voll im Saft standen, zwischen denen es immer wieder zu Spannungen kam. Bis dahin hatte Bandit die Oberhand über seinen Harem und den Hof gehabt, aber mit Berry zog eine Hundepersönlichkeit ein, die Bandits Leben gehörig auf den Kopf stellen sollte.

Simba und Filou

Ich hatte zuvor nie mit Katzen zusammengewohnt und empfand mich als typischen Hundemenschen. Die beiden waren asiatische Langhaarkatzen, Freigänger, charakterlich unterschiedlich und fast im gleichen Alter. Simba war ein unscheinbarer Schmusekater, der es faustdick hinter den Ohren hatte, wenn er draußen in seinem Revier unterwegs war. Filou hingegen war eher der verspielte Typ, der niemals erwachsen zu werden schien.

Die letzte Jagd, bei der Berry Filou verfolgte und die ich hautnah miterlebte, fand im hinteren Teil des Gartens statt, wo zahlreiche Obstbäume standen. Es war ein düsterer Herbstabend, der Himmel war bedeckt und die Blätter raschelten unheimlich im Wind. Berry war auffallend unruhig. Er war ein Hund, der mit Geräuschen immer schon seine Probleme hatte, vom Flugzeug über den Heißluftballon, von Knallkörpern bis hin zum Gewitter. Wir waren im Garten, um das letzte Geschäft vor der Nachtruhe zu erledigen. Filou huschte an uns vorbei, hielt sich aber klugerweise fern vom missgelaunten Berry. Obwohl Berry mittlerweile im Haus mit den Katzen ohne Jagdambitionen zusammenleben konnte, sah das draußen wesentlich anders aus. An diesem Abend wollte er Filou packen, genervt vom Wind und seinem Jagdtrieb, der ihm die blanke Mordlust ins Gesicht zeichnete. Berry dachte, es sei an der Zeit, endgültig mit Filou abzurechnen und das große Halali zu blasen. Ich konnte nicht so schnell reagieren, wie die Jagd begann. Der Mond lugte hinter den Wolken hervor, als Berry Filou im Garten entdeckte. Er saß auf einem Ast und beobachtete die nächtliche Umgebung. Berry, entschlossen, Filou zu erlegen, schlich sich leise an den Baum heran und sprang mit aller Kraft in die Höhe. Filou flüchtete geschickt von Ast zu Ast, außer Reichweite von Berry, der immer wütender wurde. Berry jagte Filou durch den gesamten Garten, über Heuballen, den Komposthaufen und durch dichtes Gebüsch. Er ließ sich nicht von meinem Rufen abhalten und schließlich gelang es ihm, Filou in eine Ecke des Stalls zu treiben. Sichtlich verängstigt, hatte Filou keine Möglichkeit zu entkommen. In diesem Moment verlor Berry schlagartig das Interesse. Ich traute meinen Augen kaum. Er trat langsam zurück und gab Filou genug Raum, um fliehen zu können. Was war das? Seit jenem düsteren Herbstabend hat Berry Filou nie mehr gejagt. Bis auf einen Hahn, den Berry einmal quer im Maul hatte, ist weiter nichts Nennenswertes mit unseren Tieren passiert. Unsere Hunde wussten, dass wir einen respektvollen Umgang mit den andersartigen Mitbewohnern und Freunden erwarteten. Der Hahn überlebte. Man hörte ihn nur einige Tage nicht krähen. Bei festgefahrenen Verhaltensweisen, die zur Natur eines Tieres gehören, ist eine Neuausrichtung notwendig, bis man sich sicher sein kann, dass es keine ernsthaften Konflikte und traurigen Verluste gibt. Dazu muss man im Umgang mit den Hunden Klarheit ausstrahlen. Immer wieder zeigten wir Berry Bilder von Tierheimen und leidenden Artgenossen, die in Zwingern lebten, in der Hoffnung, dass dies Wirkung zeigte. Ich bin sicher, dass Petra mit ihm ab und an Tierheime besuchte, um ihm klarzumachen, dass dies sein Schicksal sei, wenn er sein Verhalten nicht änderte. Nach solchen Fahrten mit Frauchen wachte er manchmal in der Nacht auf und suchte Körperkontakt zu mir.

Fly

Fly in Dänemark

Altendorf war ein idealer Ort, um Hunde zu halten. Das kleine Dorf am Rande der Eifel war von Obstplantagen umgeben. Die sanften Hügel luden zu ausgiebigen Spaziergängen ein. Im Laufe der Jahre hatte Petra dort unzählige Kilometer mit Bandit und Fly zurückgelegt.

Fly war ein wachsamer Border Collie: arbeitswillig und belastbar. Sie ging oft über ihre Erschöpfungsgrenzen hinaus, und man musste sie bewusst bremsen, damit sie sich nicht überforderte. Mit Fly hatte Petra einen Hund gefunden, mit dem sie aktiv am Hundesport teilnehmen konnte. Überraschenderweise war der Film „Ein Schweinchen namens Babe“ ausschlaggebend. Heute sagt sie: „Unglaublich, wenn ich jetzt daran denke. Letztlich habe ich Fly geholt, ohne zu wissen, welche anspruchsvollen Rasseneigenschaften ein Border Collie aus einer Arbeitslinie mit sich bringt. Meine Überforderung war vorprogrammiert.“ Vom Charakter her war sie ein Einzelgänger – freundlich, aber zurückhaltend. Sie liebte das Graben. Auf das Kommando „Feine Erde“ hin, das Leon ihr beigebracht hatte, konnte man sie sofort zum Buddeln bewegen. Außerdem war sie eine fantastische Torhüterin. Leon hatte viele Tor-Duelle mit ihr ausgetragen und nicht selten ging Fly als Siegerin vom Platz. Eines Tages, an einem Hochsommertag, warfen Leon und ein paar Freunde Fly Bälle zu und ließen sie in der prallen Sonne um den Pool herum rennen. Irgendwann holten sie uns, verzweifelt weinend, da Fly umgefallen war und nicht mehr aufstand. Petra kühlte sie sofort mit nassen Handtüchern herunter. Sie stand kurz vor einem Hitzschlag. Es ist nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn wir nicht zu Hause gewesen wären. Bei solchen Hunden können Verhaltensstörungen auftreten, wenn sie unterfordert sind. Und genau so war Fly – ein unterfordertes Musterbeispiel ihrer Rasse. Die Hunde können in Muster hineinrutschen, die suchthaftes Verhalten aufweisen. Das kann der Wasserstrahl eines Gartenschlauchs sein, der Ball, der immer wieder geworfen wird, oder ein Frisbee. Wenn solche Tendenzen erkennbar sind, ist es angezeigt, genau das Gegenteil zu tun und den Hunden beizubringen, nicht auf Bewegungsreize zu reagieren. Was für den Menschen lustig aussieht und wie ein Spiel wirkt, kann für den Hund zu einer ausweglosen Sucht werden. Jeder Trainer, der dazu rät, einen solchen Hund durch Bewegungsreize und Jagdspiele zu beschäftigen, liegt falsch. Stellt Euch nur einmal vor, wofür so ein Hund geboren ist: zum Hüten. Das ist keine leichte Aufgabe. Es ist harte Arbeit, die der Hund ernst nimmt. Bei jedem Wetter, rund um die Uhr. Wie soll ein solcher Hund aus einer Arbeitslinie denn ein glücklicher Familienhund werden? Man beraubt ihn seiner Bestimmung. Obwohl dies unwissentlich geschieht, macht es die Situation für den Hund nicht besser. Da helfen weder Agility noch Mantrailing alle 14 Tage. Es ist besser, sich von dem Hund zu trennen und ihn in geeignetere Hände zu geben oder rasseadäquate Beschäftigungsalternativen wie Kopfarbeit oder Suchspiele anzubieten. Täglich. Auch die Begleitung beim Reiten ist eine gute Möglichkeit. Ihre Fähigkeit, schnell zu lernen, kann sowohl ein Vor- als auch ein Nachteil sein, da sie ebenso rasch unerwünschtes Verhalten aufnehmen können. Als aufmerksame, sensible und lebendige Hunde erfordern sie eine konsequente Erziehung.

Runa

Runa war acht Wochen alt, als Petra sie aus Coburg abholte und den Weg von Bayern nach NRW ins malerische Altendorf einschlug. Sie sollte die Mutter wunderschöner Aussie-Welpen werden. Petra hatte intensiv nach einer Hündin mit guter Abstammung gesucht und blickte einer erfolgreichen Zukunft als Züchterin entgegen. Was sie zu dieser Zeit nicht ahnte, war, dass Bandit nur einmal mit Runa Nachwuchs zeugen würde. Seine übermäßige Fresslust und eine Roulade sollten daran schuld sein. Fly und Bandit akzeptierten Runa ungewöhnlich schnell. Da Petra mit den beiden seit Längerem im Hundesport aktiv war, lag es nahe, dass Runa das Team vervollständigte. Mit dieser Entwicklung begannen die Probleme zwischen Fly und Runa. Fly ertrug es nicht, wenn Petra mit Runa arbeitete. Sie bellte und heulte unaufhörlich. Es ging sogar so weit, dass Fly Zeter und Mordio schrie, sobald Runa ins Auto sprang. Dieses Verhalten beendete Petras Engagement im Hundesport. Runa war eine Wasserratte. Es gab kaum eine Pfütze, die sie ausließ. Aber nicht nur Pfützen waren Runas Leidenschaft, sondern auch die Trinknäpfe in der Wohnung. Sie planschte mit ihren Pfoten mitten in die Trinknäpfe und setzte damit die Küche regelmäßig unter Wasser. Mehr als einmal versuchte sie, in einen Putzeimer hineinzuklettern. In Bergrath, wo wir später wohnten, brauchten wir nur zum Nachbarn zu gehen, um sie zu finden. Der Pool nebenan war Runas Oase des Glücks. Da sie ein freundlicher Hund war und unsere Nachbarn Hundefreunde waren, war sie dort immer willkommen, solange kein Buffet im Garten aufgebaut war. Das war Runas anderes Hobby, aber dazu später mehr.

Runas Pubertät

Runa würde nie erwachsen werden, da waren wir uns sicher. Ich lernte sie zusammen mit Bandit und Petra im Jahr 2001 in Windeck an der Sieg kennen. Ben hatte dort seine Ausbildungsstätte.

Es war meine erste Teilnahme an einem seiner Seminarwochenenden und ich war überwältigt von den Hunden, den Teilnehmern und dem insgesamt wunderschönen Wochenende. Bandit, der coolste Hund von allen, lag gelassen mitten im Raum, mal auf dem Rücken, mal unter dem Tisch oder zu Petras Füßen schlafend. Er schien seine Umwelt kaum zu bemerken und ignorierte sogar den lauten Berry, die zwei Oktaven höher singende Luna und die anderen Hunde, die zum Teil mit ihren Besitzern über ihn hinwegsteigen mussten. Ein weiterer Hund war ebenso aufgeregt wie Berry – Runa. Sie bellte zwar nicht, kam jedoch nicht zur Ruhe. Sie war ein überdrehter Junghund, der scheinbar keinerlei Interesse daran zeigte, den Vorträgen über Genetik und Rudelstrukturen zu folgen. Runa war albern. Sie hatte ein Wesen, das Freude bereitete und einen zum Schmunzeln brachte, anders als Berry, dessen unerträgliches Bellen im Seminarraum sogar den Koch in der Küche zur Weißglut trieb. Wir erinnern uns an seine Wutausbrüche: „Verdammter Köter!“ oder an die Töpfe, die durch die Küche flogen. Für Runa war Bandit ein Vorbild. Es bewahrheitete sich im Laufe der Jahre, dass es sinnvoll ist, wenn der erste Hund souverän und gelassen ist, bevor man sich einen weiteren zulegt. Mit Sicherheit ist es der falsche Weg, zu glauben, man bräuchte einen zweiten Hund, um die Probleme mit dem ersten zu lösen. Auf genau diesem Weg befand ich mich. Runa entwickelte sich prächtig und profitierte davon, überall hin mitgenommen zu werden. Sie wurde gelassener und genoss es sichtlich, dabei zu sein. Sie lernte, dass es effektiver war, ruhig zu bleiben, anstatt ständig Unruhe zu stiften. Runa wurde im ersten Jahr zu einem perfekten Begleithund. Sie bewahrte ihr kindliches Wesen bis ins hohe Alter, wurde jedoch auf der anderen Seite zu einer fürsorglichen und instinktsicheren Mutter.

Muräne Runa

Runa besaß das bemerkenswerte Talent, scheinbar durch Tische und Wände hindurchsehen zu können. Das erlebten wir mehrfach. In einem Ferienhaus in Dänemark auf der Terrasse probierten wir eine Szene aus, die Runas Fähigkeiten demonstrieren sollte. Runa lag unter dem Tisch und Petra platzierte ihren Teller so, dass Runa nur ungefähr abschätzen konnte, wo der Teller stand. Dann tat Petra so, als müsse sie aufstehen. Für Runa war dies das Startsignal. Ähnlich einer Muräne schoss sie unter dem Tisch hervor und schnappte nach der Beute, exakt an der Stelle auftauchend, wo der Teller mit den Brötchen stand. Mit weit aufgerissenen Augen und geöffnetem, geiferndem Mund, wissend, dass es Ärger geben würde, schlug sie blitzschnell zu. So schnell wie sie aus dem Schatten unter dem Tisch aufgetaucht war, so stürmisch verschwand sie wieder, sich in die Weiten der Terrasse zurückziehend. Sie verschlang die Beute hastig, als gäbe es kein Morgen mehr. Auf diese Weise konnte sie viele ‚Jagderfolge‘ verbuchen.

Runa und Fly

Als Runa ihre erste Läufigkeit erlebte, veränderte sich das Gleichgewicht in unserem kleinen Rudel. Bis dahin herrschte Frieden, und seitdem Petra nicht mehr mit allen drei Hunden zum Hundesport fuhr, gab es keine weiteren Schwierigkeiten. Berry war zwar kastriert, aber weiterhin den Düften der paarungsbereiten Weiblichkeit nicht abgeneigt. Für Bandit, in der Blüte seiner Männlichkeit, stellte sich die Frage erst gar nicht. Bevor Runa sich versah, hatte sie zwei hartnäckige Verehrer, die wenig Rücksicht auf ihre Unerfahrenheit nahmen. Es war ihre erste Läufigkeit und sie wusste nicht, wie ihr geschah. Dies markierte den Beginn einiger Probleme in unserem Haushalt. Der ewig schwelende Konkurrenzkampf zwischen Bandit und Berry erweiterte sich um ein weiteres Feld, und Fly, die sich bisher als Bandit engste Gefährtin gesehen hatte, fühlte sich plötzlich vernachlässigt und reagierte aus purer Eifersucht. Das Problem zwischen Bandit und Berry konnten wir relativ einfach lösen, indem wir Bandit während Runas Läufigkeit zu Petras Schwiegereltern brachten. Er liebte es dort, obwohl er jedes Mal 2-3 Kilo zunahm und sich mit allen Pfoten dagegen wehrte, dieses Paradies zu verlassen und wieder mit uns mitzufahren. Trotz unserer Erklärungen konnten wir den Schwiegereltern nicht verdeutlichen, wie schädlich es für ihn war, überfüttert zu werden. Aber für einen kurzen Urlaub war es für uns akzeptabel. Die Situation zwischen Runa und Fly entwickelte sich leider anders. Flys Anfeindungen gegenüber Runa wurden immer intensiver. Glücklicherweise lebte in der gleichen Straße ein befreundeter Antiquitätenhändler, ein etwas skurriler Späthippie und Lebenskünstler. Dieser Bekannte von Petra, der auf seinem Hof einige Schafe hielt, hatte vor Kurzem seinen eigenen Hund verloren. Er war bereit, Fly während Runas Läufigkeit aufzunehmen. Wir waren uns sicher, dass sie dort gut aufgehoben sein würde.

Fly fühlte sich auf dem kleinen Hof ausgesprochen wohl. Sie konnte an Schafen arbeiten, fuhr mit auf dem Traktor durch die Obstplantagen und half beim Einkaufen. Schnell stellten wir fest, dass sie dort aufblühte. Nach einem Gespräch mit Gerd, so hieß der Bekannte von Petra, kamen wir überein, dass Fly dort besser versorgt war als bei uns. Umso mehr freute es uns, dass noch ein gemeinsamer Urlaub mit Bandit, Runa und Fly bevorstand – quasi ein Abschied auf Raten. Tierliebe bedeutet manchmal, sich zu trennen. Das sollte ich noch öfter erleben. Fly führte bei Gerd ein erfülltes und aufregendes Hundeleben. Da sie nur wenige Häuser entfernt wohnte, sahen wir sie noch oft in den Feldern. Wenn Gerd sie von Weitem rief, drehte sie sich sofort um und stürmte zu ihm. Das schmerzte. Leider wurde sie aufgrund einer falschen Diagnose eingeschläfert. Sie litt an einem Vestibularsyndrom, das oft fälschlicherweise, sogar von Tierärzten, als Schlaganfall interpretiert wird. Mir ist unbegreiflich, dass es immer noch niedergelassene Tierärzte gibt, die ein Tier aufgrund dieser Diagnose einschläfern. Die Symptome – flackernde Augen und Gleichgewichtsprobleme – sind simpel zu erkennen und mit Medikamenten und etwas Ruhe innerhalb weniger Tage behandelbar. Die Dunkelziffer der Tiere, die aufgrund dieses Missverständnisses zu früh eingeschläfert werden, ist erschreckend hoch. Fly wurde leider nur 11 Jahre alt.

Bandit

Bandit war souverän, entspannt, liebenswert, fleißig und immer bereit für Action. Darüber hinaus hatte er territoriale Veranlagungen und einen ausgeprägten Wach- und Beschützerinstinkt. Wenn es so etwas wie den perfekten Hund gibt, dann war Bandit der Prototyp. Petra hatte auf einem ihrer Spaziergänge mit den Hunden einen Apfel in den Plantagen gepflückt und wurde vom Bauern auf frischer Tat ertappt. Bandit pinkelte ihm auf die Stiefel, als er Petra zurechtwies, ohne zu bemerken, was in dem Moment passierte. Petra konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.

Eines der ersten Bilder, die ich aus den Erzählungen von Petra zu Bandit im Kopf habe, ist, wie er als Welpe versuchte, mit einer Bananenstaude durch die Katzenklappe zu flüchten. Leider konnte ich das nicht selbst sehen, denn als ich Bandit kennenlernte, war er bereits zwei Jahre alt. Petra hatte zuvor nie darüber nachgedacht, an Hundeausstellungen teilzunehmen, doch auf Wunsch der Züchterin fuhr sie hin. Die Züchterin kannte Bandits Qualitäten und hoffte, durch seine Teilnahme den Ruf ihrer Zucht aufzuwerten.

Pokale

Schon bei seinem allerersten Auftritt auf einer Ausstellung erzielte Bandit den Sieg in seiner Altersklasse. Dieser Erfolg war der Startschuss für Petra, häufiger an Veranstaltungen und Wettbewerben teilzunehmen. Bandit sammelte einen Erfolg nach dem anderen. Für mich war das eine völlig neue Welt. Bei Ausstellungsbesuchen trifft man schnell auf Gleichgesinnte. Zu Beginn der 2000er-Jahre war die Aussie-Welt in Deutschland noch überschaubar. Dies sollte sich bald aufgrund der Beliebtheit der Rasse ändern. Anfangs war der Kreis der Aussteller recht klein, und es war bemerkenswert, dass man die Hunde während der Pausen und nach der Show zusammenlassen konnte, ohne dass es zu Konflikten kam.

Dieses harmonische Bild veränderte sich innerhalb weniger Jahre dramatisch. Der ursprünglich agile, aber ruhige Aussie wandelte sich zunehmend, da die Rasse immer mehr in Mode kam und plötzlich viel Geld zu verdienen war. Dies führte zu einer Veränderung von Zuchtpraktiken, die sich auch negativ auf die Atmosphäre bei den Shows auswirkte. Paarungen wurden weniger sorgfältig ausgewählt, einige Deckrüden wurden übermäßig oft eingesetzt und sogenannte Massenzüchter drängten in die Kreise der zuvor liebevollen und verantwortungsbewussten Züchtergemeinschaft. Statt der bisher herrschenden Freude über einen guten Platz prägte zunehmend Neid die Stimmung auf den Shows. Denn gute Platzierungen und Pokale bedeuteten mehr Geld beim Verkauf der Welpen.

Es wurde vermehrt mit Auszeichnungen geworben, anstatt die Charaktereigenschaften der Hunde in den Vordergrund zu stellen. Für mich stehen stets die Gesundheit und der Charakter eines Hundes im Mittelpunkt einer guten Zucht, und nicht etwa die perfekte Symmetrie der Ohren.

Mit der Zeit füllten sich sogar die Tierheime mit Aussies. Viele neue Besitzer, insbesondere Ersthundebesitzer, die den Hund lediglich aufgrund seines Aussehens erworben hatten, waren mit der Vitalität dieser Hunde überfordert. Leider bedeutete das auch, dass die Züchter nicht mehr ausreichend darauf achteten, wer ihre Welpen erhielt.

Inhaltsverzeichnis