Neben der Musik fuhr ich Taxi, um mein bescheidenes Einkommen als Musiker aufzubessern. Ich spielte mit Schlagersternchen, Galabands und tourte mit meinem Freund Winfried Bode rockend durch Deutschland, nachdem ich 1980 in seine Band eingestiegen war. Wir schliefen im VW-Bus, in Bierkellern, hinter der Bühne oder bei frisch kennengelernten Frauen für eine Nacht. Meine Kollegen beim Taxiunternehmen waren teils alte Schulfreunde, und so erschien mir meine Arbeit eher wie ein Freizeitspaß. Wir Taxifahrer hatten eine Stammkneipe, den “Spiegel“. Sie wurde von Angie und Richard geleitet. Ich verliebte mich in Angie, sie sich in mich. Richard zog aus, ich zog ein. Punkt.
Eigentlich hätte die Geschichte an dieser Stelle ein nettes Ende haben können, aber leider zog Richard wieder ein und ich wieder aus. Und dann zog ich wieder ein und Richard wieder aus. Dann wurde Angie von mir schwanger. Richard zog wieder ein und ich wieder aus. Das geschah in dreimonatigen Abschnitten. Eigentlich hätte ich schon viel früher die Reißleine ziehen sollen, aber das schaffte ich nicht. Das erhoffte Ergebnis, Angie durch die Schwangerschaft enger an mich zu binden, stellte sich nicht ein.
Irgendwann hielt sie sich nicht mehr an den dreimonatigen Ablauf, sondern wollte mit Richard für immer zusammenbleiben, und ich sollte mein Kind niemals sehen. Das teilte sie mir unmissverständlich mit.
Durch diese Aussage veränderte sich in der kommenden Nacht alles. Ich war immer ein lustiger, spontaner Mensch, fuhr leidenschaftlich Motorrad, flog in Urlaub und fuhr mit Gondeln auf die höchsten Pässe zum Skifahren. Ich blieb auf Partys und in Kneipen bis zum Schluss, um dann mit den Kellnern bis zum Morgengrauen um die Häuser zu ziehen. Ich spielte auf großen und kleinen Bühnen, spulte tausende Kilometer auf Europas Straßen ab und war alles andere als ängstlich. In dieser Nacht lernte ich die Angst kennen. Ich war mir sicher, dass ich sterben würde.
Das war die Erste von unzähligen Panikattacken in den folgenden Jahren.
In den 80ern war das Phänomen der Angststörung noch nicht so bekannt wie heute. Im Laufe der nächsten Jahre durchlebte ich absurde Phasen, und immer wieder erlitt ich Panikattacken. Ich war nicht mehr in der Lage, Motorrad zu fahren, die Autobahn zu benutzen oder in Bus oder Zug zu steigen. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Meinen Sohn habe ich erst kennengelernt, als er ein Jahr alt war. Sein Großvater kam mit ihm vorbei und forcierte, dass wir uns kennenlernten. Angie war mittlerweile von Richard getrennt. Ich zog wieder ein. Und wieder aus nach drei Monaten.
„Angst ist wie ein Schatten, der einen überallhin verfolgt und einem das Licht nimmt.“